Samstag, 31. März 2018

Buch des Monats April 2018: Ein Kardinal im Geiste des 2. Vaticanums


Karl Lehmann: Mit langem Atem.
Wege – Erfahrungen – Einsichten.
Der Kardinal im Gespräch mit Markus Schächter.
Freiburg u.a.: Herder 2017, 4. Aufl., 271 S., Namenregister
 --- ISBN 978-3-451-34967 --- 


In einem ausführlichen Gespräch kurz vor seinem 80. Geburtstag hatte der ehemalige ZDF-Intendant Markus Schächter die Möglichkeit, Lebensstationen von Kardinal Lehmann anzusprechen. So treten kirchliche Umbrüche und die pastorale Verantwortung dieses Kirchenmannes deutlich hervor. All dies ist von Lehmanns umfassender Glaubwürdigkeit geprägt als Priester, Theologe, Bischof und Kardinal. Er war durch seine herausragende Dialogfähigkeit in vieler Hinsicht ein Glücksfall nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für die Ökumene der Konfessionen, der Religionen und der (säkularen) Gesellschaft. 


Markus Schächter bringt dies in seinem Vorwort auf den Punkt: „Als Zeuges des Aufbruchs im Konzil (sc. Vaticanum II) hat er die Zeiten des nachkonziliaren Umbruchs … gestaltet und mitbestimmt … als ein Mann … mit Mut und Bereitschaft zum Risiko, mit standfester Gelassenheit und der Fähigkeit zum klaren Widerspruch, mit stets optimistischem Gottvertrauen …“ (S. 9).
Vgl. den Beitrag: Kardinal Lehmann – ein Brückenbauer der besonderen Art:
https://intra-tagebuch.blogspot.de/2018/03/kardinal-lehmann-ein-bruckenbauer-der.htm

Besonders spannend scheinen mir die im Buch zur Sprache kommenden Verbindungsbrücken zu sein, die der Bischof und Kardinal ermöglichte und mit anlegte. Sie haben offensichtlich mit seiner Verwurzelung in der christlichen Theologie und in ihrer dogmengeschichtlichen Vielfalt zu tun. Die theologische Dialogfähigkeit mit der Philosophie, aber auch im Blick auf Ethik und Gesellschaft erscheinen immer wieder als Prägepfeiler seines Denkens und Handelns. Denken und Glauben gehören für ihn untrennbar zusammen. Jegliche Abschottung ist ihm fremd, wie bereits seine Doktorarbeit über Martin Heidegger 1962 beweist. Und gern bezieht er sich auch auf ev. Theologen, z.B. auf Gerhard Ebeling (S. 196).
Hinter allem dürfte jedoch die (konziliare) Prägekraft Karl Rahners stehen. Dass die theologischen und philosophischen Freunde Lehmanns bei wichtigen katholischen Reformdenkern, evangelischen und jüdischen Theologen zu finden sind, verwundert nicht (S. 240f).
Um den Rahmen seiner Vielfältigkeit zu verdeutlichen – hier einige Orientierungsdaten:

Geboren. 16.05.1936 in Sigmaringen – gestorben: 11.03.2018 in Mainz
Studium der Philosophie und kath. Theologie an den Universitäten Freiburg, Rom. München und Münster
1962 – 1965 Mitarbeiter Rahners beim 2. Vatikanischen Konzil
1963 Priesterweihe in Rom durch Kardinal Döpfner
1964 – 1967: Assistent von Karl Rahner an der Universität München und 1967 an der Universität Münster
1968 Ruf auf den Lehrstuhl für Dogmatik und theologische Propädeutik an der Universität Mainz
1971 – 1983 Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg
1983 bis 2016  Bischof von Mainz
Von 1987 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
2001 Ernennung zum Kardinal durch Papst Johannes Paul II.
In seinem Leben hat Lehmann auch viele universitäre und staatliche Ehrungen erhalten.
In den bisherigen Besprechungen zu diesem Buch wurde natürlich auch auf die kirchlichen Stolpersteine eingegangen, so auch auf die beunruhigenden Versuche, die Reformergebnisse des Vaticanum II zurückzudrehen. Ebenfalls sind die Probleme mit der römischen Kurie geblieben. Der Anspruch klerikaler Kirchenpolitiker aus übersichtlichen Gemeinden und Diözesen Organisationsstrukturen des XXL schaffen wollen, geht dem Kardinal völlig gegen den Strich.
Mir scheint besonders wichtig: Mit Karl Rahners Ansätzen zur Kirchenreform bleibt Lehmann immer theologisch und kirchenpolitisch solidarisch. Er teilt auch dessen scharfe Kritik an der nachkonziliaren Kirche (S. 112–115). Die Kontroverse mit Kardinal Meisner war für Lehmann zwar eine schwierige, aber letztlich weiterführende Erfahrung (S. 212). Gegen den Entzug der Lehrerlaubnis von Hans Küng 1979 hatte sich Lehmann mit aller Schärfe gewandt, obwohl Hans Küng in den vorausgehenden Konflikten seinen Professorenkollegen durchaus ambivalent sah. Zuweilen gerät auch dialogische Geschicklichkeit in ein schiefes Licht und ermöglicht keine Veränderungen am Status quo.

Es lockt mich an dieser Stelle, dem (Pastoral-)Theologen Lehmann einen etwas jüngeren gegenüberzustellen:
Paul M. Zulehner (geb. 1939).
Wie unterschiedlich die Wege sein können, die von der Aufbruchssituation des 2. Vatikanischen Konzils geprägte Kirchenleute für die Praxis vor Ort versuchen umzusetzen, zeigt ein Blick in dessen autografisch geprägtes Buch „Mitgift“ (Patmos-Verlag 2014). Uns begegnet hier auch eine andere Mentalität, die mehr die kirchenreformerischen Impulse – durchaus deutlicher im Streit mit Blockierern – hervorleuchten lässt. Zulehner kommt in Lehmanns Gesprächen seltsamerweise nicht vor, aber ein wichtiger Förderer Zulehners, der beeindruckende Konzilstheologe und Wiener Kardinal König (S. 103).
Ausführliche Rezension: https://buchvorstellungen.blogspot.de/2014/10/kirchenreform-und-kirchenkritik-zur.html

Die Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst 2013 sieht Lehmann in Konsequenz seines konziliaren Reformdenkens als einen Glückfall für eine katholische Kirche an, die sich den Herausforderungen der Gegenwart bewusst stellt und damit zukunftsfähig wird. Lehmann sieht, dass in diesem Jesuiten auf dem Papststuhl spirituelle Intensität, Unterscheidungsvermögen, Gelassenheit, Demut und lateinamerikanische Erfahrungen der Befreiungstheologie der Kirche guttun werden. Mit Franziskus sind hoffentlich auch in Rom alle päpstlichen Renaissanceallüren ein für allemal tabu.

Kardinal Lehmann war beim „Kirchenvolk“ äußerst beliebt. Das hing offensichtlich mit seiner menschlichen, unhierarchischen Haltung gegenüber allen zusammen, die ihm begegneten. Das passte gut für Mainz, einem Bistum das nicht nur Weltgeschichte schrieb, sondern auch geprägt ist von rheinischen Frohnaturen zwischen Karneval und Mainz 05, eben dem Heimatverein des Kardinals. Man wird diesen Kirchenmann als vorsichtigen, aber konsequenten Reformer der Kirche gern im Gedächtnis behalten. Das vorliegende Gesprächsbuch lädt immer wieder ein, mit ihm über eine glaubwürdige Kirche der Zukunft nachzudenken. Einen langen Atem braucht man offensichtlich dazu …
Reinhard Kirste

Rz-Lehmann-Atem 31.03.18 


Dienstag, 27. März 2018

Geschichtsverständnis und Transzendenz im Islam




















Jameleddine Ben Abdeljelil 

(Hg.): 


Historizität und Transzendenz

im Islam


Offenbarung, Geschichte und Recht

Frankfurter Schriften zum Islam.
Islam im Diskurs, Bd. 4
Berlin: EB-Verlag 2017, 288 S.
 ISBN: 978-3-86893-256-0 

Der vorliegende Band widmet sich sowohl klassischen als auch in der Moderne aufgeworfenen Fragen zum Verhältnis von Geschichtlichkeit und Transzendenz im Islam. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den autoritativen Texten Koran und Hadith im Kontext der Moderne lässt neue hermeneutische Herangehensweisen zu und führt zu neuen Lesarten und Formen der Interpretation. 
Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der islamischen Ideengeschichte abseits des Einflusses theologisch-normativer Kategorien und einer Sakralisierung der islamischen Geschichte wird so möglich. 
Die Beiträge dieses Bandes behandeln die folgenden Themenschwerpunkte:
Koranhermeneutik und Koranforschung, Islamische Geschichte und Historiographie, Diskurse zu Reform und Erneuerung sowie Islamisches Recht in
Tradition und Moderne. Autoren aus verschiedenen Disziplinen bringen ihre jeweiligen Perspektiven und Methoden in die Diskussion ein und eröffnen Zugänge, die in der Tradition der klassischen Denkschulen nicht gegeben
sind.

Weitere Empfehlung:

Band 1: Maqāṣid aš-Šarī ʿa.
Die Maximen des islamischen Rechts
 

Berlin: EB-Verlag 2014

Montag, 26. März 2018

Sterben und Tod - ein Handbuch mit umfassender Orientierung (aktualisiert)


Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.):
Sterben und Tod
Geschichte – Theorie – Ethik.
Ein interdisziplinäres Handbuch.

Unter Mitwirkung von Klaus Feldmann,
Udo Tworuschka und Joachim Wittkowski.
Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2010, IX, 389 S., 3 Tabellen, Personen- und Sachregister –
ISBN 978-3-476-02230-1

Zum Kulturen und Zeiten übergreifenden Themenbereich „Sterben und Tod“ liegt hier zum ersten Mal im deutschen Sprachraum ein systematisch aufgebautes, geradezu enzyklopädisches Handbuch vor. Es ist ein wissenschaftlich umfassend aufbereitetes Werk, wie im Anhang die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats und die in ihrem jeweiligen Fachgebiet kompetenten Autoren beweisen. Es ist jedoch noch mehr: Ein Orientierungskompendium für all jene, die sich mit den Lebensfragen und Verhaltensweisen an der Grenze zum Tod und für ein mögliches Danach intensiver befassen wollen. Die drei Herausgeber stehen bereits für die systematisierende Vielfalt der im Buch angesprochenen Themen: Héctor Wittwer von der Humboldt-Universität für Berlin konzentriert sich auf philosophische Aspekte, Daniel Schäfer (Universität Köln) und Andreas Frewer (Universität Erlangen-Nürnberg) beziehen sich auf die Medizin-Ethik in Geschichte und Gegenwart. Die Prüfung einzelner Beiträge haben vorgenommen: Klaus Feldmann, Soziologe und Sozialpsychologe (Universität Hannover], Udo Tworuschka, Religionswissenschaftler (Universität Jena) und Joachim Wittkowski, Psychologe (eigene Praxis und Universität Würzburg). Sie sind auch mit eigenen Fachbeiträgen vertreten.

Wissenschaftlich, existentiell bezogen und umfassend intensiv geht es im I. Kapitel um die Darstellungsweisen der wissenschaftlichen Disziplinen: Geschichte, Religionswissenschaft, Philosophie, Medizin, Psychologie und Soziologie. 

Das II. Kapitel beschäftigt sich mit den Grundlagen und Konzepten, bewusst transdisziplinär, und zwar mit dem Sterbeprozess (medizingeschichtlich und psychologisch), dem Scheintod, Koma, Hirntod (medizinisch und philosophisch), den verschiedenen Ursachen des Todes und der Todesfeststellungskriterien, sowie der Berechnung von Sterberaten und der Definition von „Leiche“ (medizinisch und ethnologisch). Aber auch der soziale Tod, die Herausbildung eines Todeskonzepts bei Kindern und die Zugänge der Genderforschung zu Sterben und Tod werden thematisiert. 

Bei den Allgemeinen Haltungen und Umgangsweisen des Kapitels III heben die Autoren die Ritual- und Textgeschichte der Annäherungsweisen an den Tod hervor. Ars moriendi. Furcht und Abwehrstrategien im Kontext der Bewältigung des Sterbens sowie unterschiedliche Einstellungen zum Sterben erfahren in diesem Kontext unterschiedliche religiöse, psychologisch und kulturell bedingte Konnotationen. Dies zeigt sich auch kulturhistorisch und psychologisch an der Trauer(arbeit) sowie an den Bewältigungsstrategien mit Hilfe eines Glaubens an die Fortexistenz nach dem Tod. Auch die Bildende Kunst greift mit ihren Mitteln wesentlich in die Auseinandersetzung um Leiden, Sterbens, Tod und dem Danach ein. 

Die konkreten Ausdrucksformen im Kapitel IV betreffen dann in den Phasen auf dem Weg zum Tod die Patientenverfügung, Sterbebegleitung, die Problematik der aktiven und passiven Sterbehilfe und  der Hospizarbeit sowie der Palliativmedizin. Angesichts des eingetretenen Todes geht es um die Obduktion, Leichenpredigten, die kulturellen Typiken des Sarges und unterschiedlicher Bestattungsformen in Geschichte und Gegenwart. Hier tritt der auffällige Wandel der Moderne besonders hervor. Schließlich finden noch Grabinschriften, Todesanzeigen und die Entwicklungsgeschichte des Testaments gebührende Beachtung. 

Das Kapitel V beleuchtet die unangenehmen und die Öffentlichkeit immer wieder in Beunruhigung versetzenden Elemente von Töten und den Tod erleiden: Abtreibung (geschichtlich, rechtsmedizinisch, medizinethisch), Euthanasie, Kindstötung, Selbsttötung (psychologisch, soziologisch, philosophisch, hier allerdings ohne die sicher auch spannenden geschichtlichen Entwicklungstendenzen seit der Antike), Mord, Todesstrafe (historisch und philosophisch) und die bis heute gängige Hinrichtung. Hinzu kommen die dunklen Seiten der Geschichte zum Thema Massenmord/Genozid. Beim Menschenopfer fallen Entwicklungslinien auf, die den damit zusammenhängenden und sich daraus entwickelnden Formen des Kannibalismus betreffen, aber auch das freiwilligen Lebensopfer (Märtyrer) und terroristische Todesattacken.

Um die Besonderheit und transkulturelle Zugangsweise des Buches aufzuzeigen, sei aus dem Kapitel III das Beispiel „Glaube an eine Fortexistenz nach dem Tod“ (S. 203-214) vorgestellt. Dieser Beitrag des Mainzer Religionswissenschaftlers Marco Frenschkowski untersucht die Entstehung unterschiedlicher Seelen- und Fortexistenzvorstellungen – durchaus als Topographie-Modelle der Anderwelt, die auf den Jenseitsreisen der verschiedenen Völker „angesteuert“ wird. Das geht bis hin zu Kontakten mit den Toten in bestimmten Beschwörungsritualen und der Ethisierung des Jenseits in Gerichtsvorstellungen und den „Raum“-Bildern von Himmel und Hölle. Schließlich werden Auferstehung und Reinkarnationsmuster nebeneinander gestellt und westliche Entwicklungen der jüngeren Zeit im Blick auf die Aufklärung und die Moderne untersucht. Besonders herausgehoben wird am Schluss das religiöse „Zeit“-Konzept der Ewigkeit unter religionsphilosophischen Aspekten.

Bilanz:
Was dieses Buch zu einem unerlässlichen Orientierungsbegleiter macht, sind zum Einen die Bearbeitung wichtiger Schlüsselbegriffe und damit entscheidender Fragen, z.B.: Wie sieht humanes Sterben aus? Wann ist ein Mensch wirklich tot? Welche Auswirkungen haben rechtliche Vorgaben gegen Ende und am Ende des Lebens? Warum gibt es Menschenopfer der unterschiedlichsten Art? Zum Anderen werden hier nicht nur die religiös-kulturellen, medizinischen, psychologischen, ethnischen Zusammenhänge sowie der rasante Fortschritt in der Medizintechnik aufgegriffen, sondern auch die Veränderung der Umgangsweisen mit Sterben und Tod zwischen Tabuisierung, Verdrängung aus der Öffentlichkeit. Zugleich ist das Wiederaufbrechen einer neuen Sterbe- und Friedhofskultur mit unterschiedlichen moralischen Bewertungen festzustellen.

Reinhard Kirste
Rz-Tod-Handbuch, 09.07.12

Sonntag, 25. März 2018

Saba Mahmood - Islam und der Aufbruch der Frauen in anthropologischer Sicht

Die bekannte Anthropologin Saba Mahmood (geb. 1962 in Lahore, gest. 10.03.2018 in USA), Professorin an der  Universität von Berkeley (Kalifornien) untersuchte in Theorie und Praxis menschliche Verhaltensweisen in geschichtlich-kulturellen und ethnischen Zusammenhängen von der Antike bis zur Gegenwart. Geprägt von ihrer kulturellen Heimat Pakistan und bezog sie sich auch auf die säkularen Lebensweisen des Westens. Damit eröffnete sie neue Einsichten auf islamische und islamistische Tendenzen der Moderne. Besonders spannend wurde dies bei der Untersuchung über den Aktionismus von Frauen in der fundamentalistisch geprägten Moschee-Bewegung in Kairo. 
Vgl. dazu den Beitrag:
Empowerment und Aussschluss: Islamistische Frauen und die Politik der Frömmigkeit in Ägypten.
Renate Kreile in iz3w - Informationsdienst 3. Welt, Nr. 337, Juli-August 2013


Feministischen Aktivismus verortet man normalerweise in einem säkular-liberalen Umfeld und nicht an den Orten beharrender Traditionen. Hier muss also unter anderen Gesichtspunkten neu nachgedacht werden.
Dies leistete Saba Mahmood ausführlich in dem Buch:


Saba Mahmood: Politics of Piety.
The Islamic Revival and the Feminist Subject
[2002].


Princeton University Press.
With a new preface by the author. 2011, 272 pp.

ISBN 978-0691149806 --- E-book: ISBN 978-1400839919 ---



  • Verlagsinformation:
    Politics of Piety
     is a groundbreaking analysis of Islamist cultural politics through the ethnography of a thriving, grassroots women's piety movement in the mosques of Cairo, Egypt. Unlike those organized Islamist activities that seek to seize or transform the state, this is a moral reform movement whose orthodox practices are commonly viewed as inconsequential to Egypt's political landscape. Saba Mahmood's compelling exposition of these practices challenges this assumption by showing how the ethical and the political are indelibly linked within the  context of such movements.
Not only is this book a sensitive ethnography of a critical but largely ignored dimension of the Islamic revival, it is also an unflinching critique of the secular-liberal assumptions by which some people hold such movements to account. The book addresses three central questions: How do movements of moral reform help us rethink the normative liberal account of politics? How does the adherence of women to the patriarchal norms at the core of such movements parochialize key assumptions within feminist theory about freedom, agency, authority, and the human subject? How does a consideration of debates about embodied religious rituals among Islamists and their secular critics help us understand the conceptual relationship between bodily form and political imaginaries? Politics of Piety is essential reading for anyone interested in issues at the nexus of ethics and politics, embodiment and gender, and liberalism and postcolonialism."
Ausführliche Rezension der französischen Ausgabe: 
Saba Mahmood:
 Politique de la piété. Le féminisme à l'épreuve du renouveau islamique
 --- Paris:  La Découverte, coll. « textes à l'appui », 2009, 311 p.
ISBN: 9782707153395.

Ausführliche Rezension in  "liens socio - lectures" 2010 von 
Julien Beaugé: hier 
In diesem Kontext erschien bereits 2001 ihr Beitrag:
Feminist Theory, Embodyment and the Docile Agent.
Some Reflections on the Egyptian Islamic Revival

Donnerstag, 22. März 2018

Der Mensch - Grenzen überschreitende Hoffnung


Karl M. Woschitz: Homo transcendentalis.
Der Mensch in seiner Symbolfähigkeit zwischen Leiden, Dramatik und Hoffnung.
Festschrift anlässlich des 80. Geburtstags. Hg.: Theresia Heimerl unter Mitarbeit von Sarah Lang.

Theologie im kulturellen Dialog, Bd. 33. Innsbruck-Wien: Tyrolia 2017, 248 S.

--- ISBN 978-3-7022-3656-4 ---
Verlagsinformation und Inhaltsverzeichnis:
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2017/12/transzendenz-und-jenseitshoffnung.html

Der Mensch als geschichtliches Wesen lebt im Horizont seiner Begrenztheit. So entstehen Ängste und Visionen, die Sterben, Tod, Weiterleben nach dem Tode, „Seelenwanderung“ und Unsterblichkeitswünsche thematisieren sowie Möglichkeiten von Grenzüberschreitungen auszuloten versuchen. Die Religionen geben unterschiedliche Antworten und Begleitangebote (Totenbücher, Jenseitsführer), um die Endgültigkeit des zeitlichen Todes zu durchbrechen. Die hier anzuzeigende Festschrift gilt Karl Matthäus Woschitz, Religionswissenschaftler an der Universität Graz, dessen wissenschaftliche Schwerpunktarbeit die Herausgeber sehr schön unter dem Stichwort des „homo transcendentalis“ zusammengefasst haben. Natürlich bilden die vorliegenden Texte nur einen Auszug aus dem umfassenden Werk des Jubilars.


Trotz dieser notwendigen Auswahl unternehmen die Lesenden eine Art eschatologischer Reise. Sie  führt vom Alten Orient unter Einbeziehung neutestamentlicher Vorstellungen durch die Mittelmeerkulturen der Antike. Und sie endet mit heutigen existentiellen Fragen und gegenwärtige Aspekten von Leiden und Abgrunderfahrungen, wie dies in der Musik und der Literatur oft intensiv zum Ausdruck kommt.
Der als Einleitung gewählte Beitrag nimmt den Gedanken der Geschichtlichkeit des Menschen besonders auf. In Abgrenzung vom griechischen Denken (Aristoteles und Plato) werden neutestamentliche Auferstehungshoffnungen thematisiert. Der Tod ist damit nicht mehr unausweichliches Verhängnis. Das ermutigt dazu, menschliches Leiden zugunsten einer Humanisierung der Welt anzugehen. Das Ziel ist jedoch „transzendent“, als absolute Zukunft, in der Gott alles in allem ist (1. Kor 15,28).
Die beiden folgenden Aufsätze behandeln mit dem beispielhaften Schwerpunkt des Osiris-Mythos die Todes- und Jenseitsvorstellungen im Alten Ägypten. Ihnen an die Seite gestellt ist die griechische Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele. Diese „Lebensvorstellungen“ kommen ohne apokalyptisches Gedankengut aus, vielmehr ist alles in den kosmisch-zyklischen Wanderungsprozess der Sonne eingebunden.
Die griechische Lebensvorstellung spiegelt Woschitz an Sokrates und Paulus, die sie beide im Gefängnis angesichts des (möglichen) Todes realisieren: Sokrates „weiß“, dass der Seele das Leben innewohnt, während Paulus auf Hoffnung hin glaubt, zum Leben errettet zu werden.
Mit der Frage „Tod und was dann?“ stellt Woschitz moderne und antike Dichter sowie Philosophen im Horizont ihrer Jenseitshoffnungen vor, u.a.: Ovid, ägyptisches Totenbuch, Rilke, Heidegger, Wittgenstein. Gegen den griechischen Leib-Seele Dualismus setzt er die Aussagen des Alten und Neuen Testaments. Der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit ist auf Gott hin angelegt. Von daher deutet er auch die Begriffe Himmel, Hölle, Totenreich, um so die Auferstehung als menschliche Vollendung zu verstehen.
Eine wichtige Rolle spielen für Woschitz offensichtlich Texte aus der Offenbarung des Johannes. Zwei Abschnitte werden hier ausführlicher interpretiert: Offenbarung 12,10-12 als eschatologisches Siegeslied über alles Satanische und Offenbarung 13 als religiöse Ideologiekritik gegen den Anspruch des damaligen Kaisers Nero. Die Apokalypse kann für heute Bedeutung gewinnen, weil hier die Abwehr jeglicher totalitaristischer Vergötzung von Menschen thematisiert wird.
Eine philosophische Auseinandersetzung im Horizont des Redens von Gott konkretisiert Woschitz an Friedrich Nietzsche „Also sprach Zarathustra“, um von dort zur G.F. Hegel, die Linkshegelianer und schließlich zu Wittgenstein, G.E. Moore, B. Russel, Max Horkheimer und Hans Jonas zu kommen. Angesichts der Unmöglichkeit, Wirklichkeit zu messen, hat die Frage nach Gott durchaus ihre Berechtigung, „weil der Mensch der Schnittpunkt ist, von Faktizität und Transzendenz“ (S. 133).
Mit der Bedeutung der Passion als Hoffnungssymbol setzt sich der Autor angesichts der Erfahrung menschlicher Abgründe auseinander. Auf der Basis biblischer Texte und im Gespräch u.a. mit Goethes Faust und Hölderlins Hyperion zeigt er die „bessere Hoffnung“ im Hebräerbrief (7,19). Von dort führt ihn der Weg über die Passionsverständnisse der synoptischen Evangelien schließlich zum Johannesevangelium. Dort signalisiert die Erhöhung zum Kreuz bereits die ewige Herrlichkeit. Der „Ecce Homo“ des Karfreitags ist zugleich der wahrhaft menschlich Liebende.
Geradezu ein Universum von Sinn-Zusammenhängen des Menschseins tut sich auf, wenn der Begriff „Logos“ und seine Geschichte von den frühen griechischen Zeugnissen bis zum Neuen Testament ins Spiel kommt. Wichtig werden besonders die Aussagen des Hebräerbriefs über die Kraft des Wortes und der göttlichen Gnadenerweisung.
Eine Wesensbestimmung des Menschseins stellt auch das gnostische Lehrgebäude des Mani (3. Jh. n. Chr.) dar, dem Begründer des Manichäismus.  In dieser Konzeption hat die Erkenntnis dem Glauben gegenüber Priorität. Diese religiöse Denkrichtung drohte damals durchaus zu einer ernsthaften Konkurrenz für das Christentum zu werden, wie das dualistische Denken Augustins noch erahnen lässt. Damit der Mensch aus dem Kerker zum Licht geführt werden kann, muss das gute Prinzip gegenüber dem bösen siegen. Dazu begeben sich göttliche Gesandte auf die Erde damit der in der Dunkelheit im Todesschlaf gefangene Mensch der Macht des Gottes der Finsternis entrissen wird und zur Erleuchtung kommt. Manis Religion ermöglicht durch die „Manifestation des Licht-Nous“, diesen Weg zum Heil zu gehen. Durch eine Versiegelung kann auch das Böse nicht mehr in den Menschen eindringen.
Solche streng dualistische Soteriologie hat im Mittelmeerraum immer wieder nachfolgende Bewegungen hervorgebracht, die man unter dem Namen der Katharer, der Reinen, zusammenfasst und die in der okzitanischen Bewegung der mittelalterlichen Katharer noch einmal eine bedeutende Rolle spielten.
Ausführlich bedenkt Woschitz die Abgründe des Leidens, die bis in die Negation Gottes führen können. Das kommt am deutlichsten angesichts von sinnlosem Leiden ins Blickfeld. Dieses verbindet sich mit der Erfahrung der Unerlöstheit. Darauf machen die indischen Religionen besonders aufmerksam. In seiner “Registratur“ von Antwortversuchen und Antworttypen bezieht sich der Autor auf Hesiod, Empedokles und Platon. Dann kommt er auf die indische Mystik, den Buddhismus und den Taoismus zu sprechen. Der Buddhismus rückt das Leidensproblem besonders in den Mittelpunk; der Hinduismus geht von einer unheilvollen Gesamtsituation aus.  Bei der Darstellung des Zoroastrismus kommt wiederum ein extremer Dualismus zur Sprache. Hier gibt es entwicklungsgeschichtliche Linien in die Gnosis und in den Manichäismus. Abschließend geht Woschitz auf die existentialistische Weltangst ein, der er biblische Motive gegenüberstellt. Diese konkretisierte er an Äußerungen Bubers. Mit  1.Kor 15 gibt er dann ein ermutigendes Signal über den Sinn des Leidens.
Der letzte Beitrag im Buch ist der Entwurf einer Theologie des Festes. Dazu stellt der Verfasser zuerst einige Theorien des Festes vor: Emile Durkheim, Roger Caillois, Sigmund Freud, Karl Kerényi, Harvey Cox. Natürlich spielt Woschitz auch wieder die griechische Mythologie zum Thema ein, um schließlich eine biblische Grundlegung des Festes anzubieten. Sie beruht auf der Schöpfungsgeschichte. Dort ruhte Gott am siebten Tage. Die Festzeit und Ruhezeit erinnern daran, dass weder Arbeit und Leistung noch die drohende Leere in der Freizeitgesellschaft letztlich Sinn geben, sondern die Hoffnung auf das ewige Fest, wie dies in Offbg. 21,1-7 beschrieben wird.
Bilanz: Die vorliegende Festschrift mit den Beiträgen des Jubilars spricht eine Fülle des Menschlichen im Horizont seiner irdischen Begrenzung an. Die Themen bewegen sich zwischen unterschiedlichen Aspekten des Leidens und möglicher transzendenter Hoffnungen. Immer wieder zieht der Autor religionsgeschichtliche Zusammenhänge heran, um dann letztlich die christliche Hoffnung über den Tod hinaus zu betonen. Der Titel des Bandes „homo transcendentalis“ benennt also ausgesprochen präzise das vielfältige menschliche „Geworfensein“ zwischen Jetzt und Dann, zwischen scheinbarer Sinnlosigkeit und endgültigem Sinn.
Reinhard Kirste

Rz-Woschitz- Transzendenz, 22.03.2018 



Transzendenz und Jenseitshoffnung - anthropologische Grundmuster (aktualisiert)

Karl M. Woschitz:

Homo transcendentalis

Der Mensch in seiner Symbolfähigkeit zwischen Leiden, Dramatik und Hoffnung.
Festschrift anlässlich des
80. Geburtstags von
em. Univ-Prof. Dr. Karl M. Woschitz

Herausgeberin: Theresia Heimerl
unter Mitarbeit von Sarah Lang.

Theologie im kulturellen Dialog Band 33

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2017, 248 S., 1 sw Abb.

---I SBN 978-3-7022-3656-4 ---

Ausführliche Rezension: hier
  • Der Mensch auf der Suche nach sich selbst

    Es gibt einen numerus clausus an Fragen, die alle in der Frage nach der Selbstüberschreitung des Menschen münden, der sich darin als homo transcendentalis erweist. Dieser Frage und ihren Antwortversuchen in den unterschiedlichen religionsgeschichtlichen Kontexten hat Karl M. Woschitz sein jahrzehntelanges akademisches Wirken gewidmet. Zentrale Beiträge aus seiner Feder zu diesen Themen finden sich in dieser Festschrift anlässlich seines 80. Geburtstags versammelt. Jenseitshoffnungen und -ängste im alten Ägypten, Griechenland und den neutestamentlichen Schriften sind ebenso zu finden wie Ausführungen zur conditio humana in den großen Religionssystemen des Alten Orients und Europas bis hin zu deren Nachklängen in der Literatur und Musik der Gegenwart.
  • INHALTSVERZEICHNIS


Mittwoch, 21. März 2018

Religion und Evolution - wie sich Religionen entwickeln und verändern

Ina Wunn: Barbaren, Geister, Gotteskrieger.
Die Evolution der Religionen - entschlüsselt.
Wiesbaden: Springer 2017, 372 S
.

  • ISBN-10: 3662547724
  • ISBN-13: 978-3662547724

Ausführliche Besprechung in Deutschlandfunk
vom 20.03.2018:

Wie Genitalien zu Göttern wurden: hier

Verlagsinformation: Ein neuer Blick auf die Entwicklung der Religionen 
In diesem Buch geht es um die Evolution der Religionen, also um die Frage, wie und warum sich Religionen im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung verändern und welche Gesetzmäßigkeiten diesen Veränderungen zugrunde liegen. Die Autorin schildert zunächst, wie der Evolutionsgedanke sowohl in der Biologie als auch in den Geisteswissenschaften Fuß gefasst hat. Dies war eine Zeit eigenwilliger Protagonisten und spannender Kontroversen, die lebhaft vor das Auge des Lesers treten. Das Buch geht dann der Frage nach, was Evolution im Bereich der Religion eigentlich bedeutet und welche Faktoren diese religiöse Evolution steuern. Welcher Anpassungswert kommt Religionen zu? Wie spalten sich Religionen auf und entwickeln sich in zunehmender Eigenständigkeit? Gibt es so etwas wie eine Vererbung, eine Stammesgeschichte und eine Systematik der Religionen, ähnlich des Gedankengebäudes, das die biologische Evolutionstheorie für die Entwicklung der Organismenwelt entworfen hat? 
Am Ende dieses mutigen Buches steht nicht nur eine belastbare Theorie religiöser Evolution, sondern es wird auch deutlich, welche Umwelt- und sozialen Faktoren die Entwicklung von Religionen heute steuern. In einer Welt, in der das Religiöse mit Macht zurückzukehren scheint, dürfte dieses Werk auch zu einem differenzierteren Blick auf die Vielfalt und Einheit der Religionen beitragen. 
Die Autorin 
Ina Wunn ist Professorin für Religionswissenschaft an der Leibniz-Universität Hannover. Das besondere Interesse der Biologin und Religionswissenschaftlerin gilt dem Ursprung und der Evolution der Religionen. 
  • Einleitung: Ist das eigentlich Evolution?
    Seiten 1-5
  • Politische Gewalt und ihre Opfer, oder: Drama in Paris
    Seiten 7-29
  • Was ist Wissenschaft? Oder:
    Wir stehen immer auf den Schultern unserer Vorläufer

    Seiten 31-47
  • Die Aufklärung und der Entwicklungsgedanke
    Seiten 49-72
  • Eine Theorie für alles, oder: Auf der Suche nach der Weltformel
    Seiten 73-94
  • Malthus, Wallace und die Selektionshypothese
    Seiten 95-127
  • Darwin und The Origin of Species
    Seiten 129-156
  • Eine erste religionswissenschaftliche Evolutionstheorie
    Seiten 157-181
  • Die Evolutionstheorie wird populär
    Seiten 183-202
  • Runter mit den Mäuseschwänzen! Vererbung und Artkonzept
    Seiten 203-224
  • Ein erstes Resümee:
    Wie sollte eine Theorie religiöser Evolution aussehen?
    Seiten 225-244
  • Die Religion als taxonomische Einheit, die Variabilität
    und das hierarchisch-enkaptische System
    Seiten 245-258
  • Wie ändern sich Religionen? Die Suche nach den Evolutionsfaktoren
    Seiten 259-287
  • Keine Frage der Gene: Wie funktioniert Vererbung
    im Bereich der Religionen?
    Seiten 289-297
  • Religiöse Speziation: Wie eine neue Religion entsteht
    Seiten 299-309
  • Das Überleben des am besten Angepassten, oder:
    Von der Steinzeitreligion zu den Religionen heute
    Seiten 311-330
  • Evolution der Religionen: Wie ein Theoriehintergrund
    die Weltsicht bestimmt
    Seiten 331-337