Montag, 9. März 2020

Wieder im Blickfeld: Averroes (1126-1198) und Averroismus - Erkenntnis im Horizont der Transzendenz (aktualisiert)

Averroes [Averroës]
Über den Intellekt.
Arabisch – Lateinisch – Deutsch.
Hg., übersetzt, eingeleitet
und mit Anmerkungen versehen: 
David WIRMER.
Herders Bibliothek der Philosophie
 des Mittelalters, Bd. 15 (HBPHMA 15)
Freiburg u.a.: Herder 2008, 304 S., Register


Als 1998 das 900. Todesjahr von Averroës gefeiert wurde, gab es in Frankreich eine Fülle von Veranstaltungen, während es in Deutschland angesichts eines Philosophen, der die christliche Theologie bis ins 15. Jahrhundert bestimmte, ausgesprochen still blieb. Es dürfte nämlich ein singuläres geistesgeschichtliches Phänomen sein, dass die averroistische Philosophie als Grundlagenlehre zum Verständnis der Seins- und Existenz-Zusammenhänge im Kontext von Aristoteles sich mehrere Jahrhunderte durchhielt. Trotz mehrfacher Verbote, besonders 1271 durch den Bischof von Paris, Étienne Tempier, wurde der Averroismus an der Pariser Universität keineswegs endgültig außer Kraft gesetzt wurde. 


Vgl. Peter Grabher: Die Pariser Verurteilung von 1277.
Kontext und Bedeutung des Konflikts um den radikalen Aristotelismus. 
Diplomarbeit Wien, 2005, 135 S.


Das geschah indirekt erst auf dem 5. Laterankonzil 1513 durch Leo X. mit einer Verurteilung der Lehre von der Einheit des Intellekts (= aller Erkenntniszusammenhänge) und der Sterblichkeit der Seele.
 
Vgl. zum Averroismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Averroismus

Die Kirche fürchtete die „heidnischen“ griechischen Philosophen, besonders den auch von christlichen Theologen wie Thomas von Aquin geschätzten  Aristoteles und die arabischen Kommentare, die die gesamte griechische Philosophie ins Arabische übersetzt hatten, sie fürchtete besonders die Aristoteles-Kommentare des Averroës, vor allem die Thesen von der Ewigkeit der Welt und der absoluten Gültigkeit der Naturgesetze, die vernunftgemäß zu erkennen seien. Unter Führung der Universitäten in Paris und Oxford, die von den Dominikanern dominiert wurden, bediente man sich auch der arabischen Quellen (z.B. systematisierend auch Albertus Magnus), um eigene Aristoteles-Kommentare zu schreiben. So wurde Aristoteles im Mittelalter nur noch als „philosophus“ zitiert und Averroës einfach als „commentator“.
Weil nun Averroës die Vernunft im Grenzbereich von Immanenz und Transzendenz diskutiert, ist der theoretische wie der materielle Intellekt letztlich willentlich allen „intelligibilia“ zugänglich, m.a.W. das Geistige ist verstandesgemäß wahrnehmbar – Göttliches und Menschliches gehören zusammen:
„Für uns aber, da wir annehmen, dass der materielle Intellekt ewig ist und die theoretischen Intelligibilia entstehend und vergänglich sind … und dass der materielle Intellekt beide erkennt, nämlich die materiellen Formen und die abgetrennten Formen, … ist offensichtlich, dass das Subjekt der theoretischen Intelligibilia und des aktiven Intellekts ein und dasselbe ist, nämlich der materielle [Intellekt]“ (S. 277).
Gegen diese Einheit des Intellekts hatte sich Thomas von Aquin (1225? – 1274) gewendet:
De unitate intellectus contra Averroistas –
Über die Einheit des Intellekts gegen die Averroisten
 (1270)
Vgl. Herbert A. Davidson: Alfarabi, Avicenna & Averroes on Intellect.
Their Cosmologies, Theories of the Active Intellect & Theories on Human Intellect.
New York / Oxford: Oxford Univ. Press 1992, bes. S. 302–310)
Mehr zum Buch: http://people.exeter.ac.uk/sp344/h%20davidson%20intellect0195074238.pdf
Was damit über die individuelle Erkenntnis gesagt wird, ist eine Zugangspforte für konkretes wie abstrahierendes Denken, das schließlich auch Transzendenz prinzipiell erkennen kann. Im Nachwort weist der Herausgeber allerdings daraufhin, dass sich Averroës von dieser Konsequenz durch einen späteren „halbherzigen Platonismus“ quasi wieder verabschiedet hat (S. 409). Es bleibt aber festzuhalten, dass der Kommentar zu „De Anima“ des Aristoteles dabei zu den Voraussetzungen gehört, um eine eigene beinahe irrtumsfreie Methodik und Erkenntnistheorie zu entwickeln. Dieser Kommentar war allerdings den mittelalterlichen Scholastikern nicht bekannt. Er belegt jedoch zusätzlich eine Zielrichtung, durch die Ibn Rushd Zeugnis für eine von der Vernunft geleiteten Philosophie ablegt, die damit auch zur Erkenntnis Gottes vordringen kann. Dieser Text gewinnt gerade für die heutige Diskussion im Rahmen der verschiedenen Gottes- und Transzendenzverständnisse der Religionen zusätzliche Bedeutung.
Weiteres zur Begegnung und Auseinandersetzung mit Averroes
CC

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