Donnerstag, 13. September 2018

Das Barnabas-Evangelium - eine Chance für den christlich-islamischen Dialog? (aktualisiert)

Cover: Turban-Verlag Bonndorf 1994 
Die türkische Regierung präsentierte im Jahre 2012 ein bisher geheim gehaltenes Dokument des "Barnabas-Evangeliums". Das Buch, in Leder gebunden, soll etwa 1500-2000 Jahre Jahre alt sein. Es wurde allerdings bereits 1984 bei einer Polizeiaktion in der Südosttürkei entdeckt.
Diese Geschichte intensivierte die von muslimischer Seite immer wieder vertretene Behauptung, dass es sich hier um ein originales christliches Evangelium handele. Allerdings werden dort von den klassischen vier Evangelien abweichende Ansichten vertreten.
Auch in der 1994 erschienenen einzigen deutschen Übersetzung des Textes wird sehr deutlich diese islamische Position aufgenommen, wie die Überschrift schon ankündigt:
Das Barnabas-Evangelium. Wahres Evangelium Jesu, genannt Christus, eines neuen Propheten, von Gott in die Welt gesandt, gemäß dem Bericht des Barnabas, seines Apostels.


Ein  erster Überblick
Es sind schon lange zwei Manuskripte des Barnabas-Evangeliums (BE) bekannt, ein vollständig italienisches in der Nationalbibliothek Wien und ein spanisches in der Universität Sydney.
Details: Wikipedia.en
Diese Texte wurden lange von
christlichen Forschern als Fälschung abgetan.
Ausgabe Oxford 1907
mit durchscheinendem Faksimile
 des Exemplars der Handschrift
aus derWiener Nationalbibliothek, S. 132

Lässt man all die religiösen Parteinahmen für oder gegen den Text beiseite, so gehen die meisten Forscher inzwischen auf Grund  historischer- und literarkritischer Analysen nicht von einer bewussten Fälschung aus, sondern vielmehr von der schwierigen Situation iberischer Morisken, d.h. spanischer Muslime unter christlicher Herrschaft nach 1492.

Weiteres: Die Iberische Halbinsel nach 1492 unter christlicher Herrschaft:
Mudejaren und Morisken


Eine Reihe international renommierter Forscher haben sich mit diesem Text und seiner Herkunft befasst. Es seien nur genannt: Henry Corbin,
Luigi Cirillo und Michel Frémaux,
Jacques Jomier OPJan Joosten  sowie unten ausführlicher dargestellt: 1. Jan Slomp,
2. Christine Schirrmacher, 3. Gerard.A. Wiegers, 
4. Míkel de Epalza und
5. Luis Bernabé Pons.
 

Das Ergebnis findet sich in dem 2017 erschienenen Band:
David Thomas / John Chesworth (eds.): Christian-Muslim Relations. 
A Bibliographical History. Vol. 9. Western and Southern Europe (1600-1700). 
Leiden/Boston: Brill 2017 (Print und Online)
Inhaltsverzeichnis und Leseprobe: hier



1. Jan Slomp
Der reformierte Pfarrer Jan Slomp (geb. 1932) war von 1977-1993 Islambeauftragter der Reformierten Kirchen der Niederlande. Viele Jahre arbeitete er auch als Sekretär und dann Vorsitzender des "Islam-in-Europa-Komitees" der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (C.C.E.E.). Bereits 1997 hatte er einen präzisen Überblick zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um das Barnabas-Evangelium vorgelegt:
The Gospel of Barnabas in Recent Research.
Islamochristiana 23 (1997), 81-109: Der vollständige Text (in CIG e.V.): hier
1998 fasste er zusammen:
Das Barnabas-Evangelium - zur Forschungslage.
In: Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Die dialogische Kraft des Mystischen. Religionen im Gespräch Bd. 5 (RIG 5). Balve: Zimmermann 1998, 624-625
Der Text zum Download: hier

Nach 20 Jahren weiterer Recherche legt er nun seine Schlussbilanz vor: 
The Gospel of Barnabas.
In: Christian-Muslim Relations. A Bibliographical History (CMRBH).
Vol. 9: Western and Southern Europa (1600-1700). Leiden/Boston: Brill 2017, pp. 671-688
Deutsche Zusammenfassung des Beitrags: hier

"The argument for a Morisco origin 
can explain all aspects and most of the details of the text"
(p. 676)


Eine persönliche Bilanz von Jan Slomp:
 "
Ich fasse zusammen: Luis Barnabé Pons und Gerard Wiegers studieren die  Morisco-Ursprungsgeschichte des BE . Sie schreiben nicht über die Wirkungsgeschichte, sie erwähnen diese nur. Christine Schirrmacher recherchiert vor allem die Wirkungsgeschichte. Ich studierte Ursprung und die Wirkung und habe beide verbunden in CMRBH.  Christine Schirrmacher (1992) und Luis  Bernabé Pons (1998) haben Dissertationen über das EB geschrieben. Sie haben dafür auch  mein Material benützt. Weil ich ja schon 1973 in Pakistan mit den Nachforschungen anfing. Mein Ressource war damals vor allem Jacques Jomier OP und später auch Mikel de Epalza. Mit ihnen hat sich eine Freundschaft entwickelt. Weil ich jetzt 85 bin,  höre ich auf. Gerard Wiegers, Christine Schirrmacher und Luis Bernabé Ponst sind viel jünger und arbeiten weiterhin an diesem Thema."


2. Christine Schirrmacher
Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher (geb. 1962) von der Universität Bonn hatte bereits in ihrer Dissertation die Debatte auch im deutschen Sprachraum in Bewegung gesetzt:
Mit den Waffen des Gegners. Christlich-muslimische Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. (Dissertation) Klaus-Schwarz-Verlag, Berlin 1992
Abstract bei Cambridge University Press: hier

Anlässlich der deutschen Ausgabe des Barnabas-Evangeliums 1994 durch den islamischen Turban-Verlag in Bonndorf (Schwarzwald), gab Christine Schirrmacher einen Gesamtüberblick: "Wurde das wahre Evangelium Christi gefunden?"
Der Artikel im Institut für Islamfragen: hier

Dort heißt es u.a.: 
"Das heute vorliegende Barnabasevangelium enthält islamisches Gedankengut, das - obwohl außer von der Person Muhammads nirgends offiziell vom Islam die Rede ist - stark an den Koran und die muslimische Überlieferung erinnert. Da der Islam erst im 7. Jahrhundert n. Chr. entstand, kann das Evangelium nicht aus frühchristlicher Zeit stammen ... Aussagen des Barnabasevangeliums sind zudem mit der Geschichte und Geographie Palästinas unvereinbar, so daß es kaum vorstellbar scheint, der Autor des Barnabasevangeliums könnte in Palästina gelebt haben. Darüber hinaus fehlt eine verläßliche Quelle, die vor dem Beginn des 18. Jahrhunderts von dem Inhalt des Barnabasevangeliums berichtet. Aber auch darüberhinaus sprechen etliche Anhaltspunkte aus dem Text selbst für ein spätmittelalterliches oder frühneuzeitliches Abfassungsdatum zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert."

3. Gerard A. Wiegers
Der niederländische Religionswissenschaftler Gerard A. Wiegers (Universität Amsterdam) hat mit ziemlicher Sicherheit nachgewiesen, dass der Autor des Barnabas-Evangeliums (BE) ein gewisser Alonso de Luna ist. Seine Emigration als Moriske führte ihn bis nach Rom und Istanbul. 

Martin Mulsow beschreibt den Nachweis von G.A. Wiegers, nämlich dass Alonso de Luna als Autor des BE höchstwahrscheinlich in Frage kommt.
In: Herbert Jaumann (Hg.): Diskurse der Gelehrtenkultur in der frühen Neuzeit. (Berlin: De Gruyter 2010), 
S. 458f. Wichtiger Belegtext: 
G.A. Wiegers: ‘The persistence of Mudejar Islam? Alonso de Luna, the “Lead Books” and the Gospel of Barnabas’ In: Medieval Encounters, 12(3) 2006, pp. 498-518.
Beitrag auf academia.edu: hier


4. Míkel de Epalza
Der Religionswissenschaftler und Arabist
Míkel de Epalza
Das Moriskenproblem zum Beginn
der Herrschaft Philipps II. (1527-1598).
Teruel:
Centro de Estudios Mudéjares 2010
(1938-2008)  von der Universität Alicante gehört zu den Promotoren des christlich-islamischen Dialogs. Er forschte intensiv über die religiös-politische Situation im Zusammenhang der "reconquista" auf der Iberischen Halbinsel. Zum Barnabas-Evangelium hielt er resümierend fest:

 "Der Jesus des Barnabas-Evangeliums ist ein vollständiges Jesusbild von Muslimen für Christen innerhalb der unterdrückerischen Koordinaten der spanisch-katholischen Gesellschaft ...,
eine muslimische Kopie des christlich-evangelischen Bildes. Es ist im Grunde ein islamisches, in der Form verchristlichtes Bild, das einzige, das die spanischen Muslime bekennen konnten, die vor den Augen ihrer katholischen Mitbürger im Spanien der Habsburger wie Christen zu leben gezwungen waren."

Míkel de Epalza - Schlussabschnitt
 "Ein Evangelium gemäß dem Islam ..."

Aus: Jesus zwischen Juden, Christen und Muslimen.
Frankfurt/M.: Lembeck 2001/2002, 2. Aufl., S. 151
--- 
Gesamttext als PDF: hier



5. Luis Bernabé Pons


Der Islamwissenschaftler Luis F. Bernabé Pons (geb. 1963) hat lange an der Universität Alicante mit Míkel de Epalza zusammen gearbeitet. Er  sieht den Ursprung des Textes ziemlich eindeutig in Granada nach der "reconquista" angesiedelt. 
Mit seiner Doktorarbeit 1995 sicherte er seine Thesen umfänglich ab und führte damit auch die Forschungen von Míkel de Epalza weiter:
El Evangelio de San Bernabé.
Un evangelio islámico espa
ñol. 
Universidad de Alicante 1995, 260 S.


Diese Ergebnisse stellte er als Kommentar zu der von ihm edierten spanischen Ausgabe des Barnabas-Evangeliums voran:  
El texto morisco del Evangelio de San Bernabé. 
Granada: Universidad de Granada 1998, 312 S.,
davon 52 S. Kommentar.
 


Weitere Informationen:
Die Bedeutung der Iberischen Halbinsel für den Trialog



CC

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