Samstag, 17. Juni 2017

Beeindruckendes Mitgefühl: Briefe eines Muslims an einen ermordeten Priester


Die Ermordung des Priesters Jacques Hamel während des Gottesdienstes (!) durch zwei Djihadisten am 26. Juli 2016 hat viel Solidarität auf muslimischer Seite bewirkt. So kam als "Karawane des Friedens" eine Delegation der Al-Azhar-Universität an den Ort des Verbrechens, Étienne du Rouvray (in der Nähe von Rouen). Vgl.  Dialog-Journal vom 28.10.2016  Besonders beeindruckend ist jedoch das Buch eines Muslims als Hommage an den ermordeten Priester: Requiem für Vater Jacques Hamel. Briefe von Mohammed Nadim, der im Süden von Algerien lebt. Er ist offensichtlich praktizierender Muslim. Von der Ermordung des französischen Priesters Jacques Hamel zutiefst erschüttert, beschloss er, seine Gedanken gegen Hass und Terrorismus und für ein friedfertiges Zusammenleben in eine Art von Gebetsbriefen an den unbekannten Priester zu formulieren.

Mohammed Nadim: Requiem pour le père Jacques Hamel.
Lettres d’un musulman. Préface de Mgr Dominique Lebrun
Paris: Bayard 2017, 142 pp.

Anne-Bénédicte Hoffner in der Zeitung  La Croix vom 13.06.2017 (freie Übersetzung R.K.):

"Wo sind wir mein Vater, wo sind wir? Wer wagt zu sagen, wo wir sind?" ruft Mohammed Nadim seit diesem 26. Juli und dem Mord an Père Jacques Hamel durch zwei Djihadisten. Die Mordtat geschah mitten in der Messe,  am Altar der  kleinen Kirche von Saint-Étienne du Rouvray (Seine-Maritime). Der Autor ist untröstlich, ohnmächtig und revoltierend zugleich angesichts dieser Gewalt, die im Namen einer Religion begangen wurde, die die seine ist.  "Man hat für Augenblicke den Eindruck, dass wir den Schlüssel der einzigen Heimstätte verloren haben, die sich noch zwischen den Ruinen erhebt und dass wir nun nicht mehr wissen, wohin wir gehen oder welche Richtung wir einschlagen sollen" .
Er gesteht dies ein, erdrückt von dem 'Wahnsinn', in den sich [die Terroristen] Abdel Malik Petitjean und Adel Kermiche (beide kaum 19 Jahre alt), verirrt haben. "Sie sind mit einer großen Leere in ihrem Herzen gekommen und haben sie [ihrer Meinung nach] so gut wie möglich gefüllt, indem sie in die Tat umsetzten, was schon lange in ihrem Geist gärte und indem sie dann noch lautstark proklamierten, Gott und seinen Propheten (Mohammed) zu lieben."

Ein spiritueller Weg

Mit etwa 30 Briefen, manchmal kurz, dennoch messerscharf, hielt es  dieser praktizierende Muslim für nötig, seine Verzweiflung, seine Verwirrung und seinen Zorn zu bekennen. So teilt er zugleich mit seinen Lesern -  seine eigenen Fragen über den Glauben, das Leben, die Liebe, das Martyrium und die Schwierigkeiten, gemeinsam zu leben ... "Ein bewundernswerter spiritueller Weg, der gewiss noch nicht vollendet ist", bemerkt Msgr Dominique Lebrun, der Erzbischof von Rouen, in seinem schönen Vorwort. 
Man weiß fast nichts von 'Mohammed Nadim', ein ausgedachter Name - außer  dass er seine Briefe im letzten Winter in der Oase Timioun, im Süden von Algerien, redigiert hat. Außerdem weiß man, dass er die Kirche kennt und häufig besucht. Innerhalb seiner Texte werden der Hl. Augustin und 'seine'  Märtyerer genannt:  Jerzy Popieluszko, der in Polen ermordet wurde, und Msgr Oscar Romero, während der Messe in El Salvador  umgebracht wurde - und auch noch die sieben Zisterziensermönche  aus Tibhirine. Der Autor hat einen Traum: Zu ihrem Gedächtnis möchte er ein Krankenhaus oder ein Waisenhaus errichten. "Es soll etwas sein, das ein Willkommen ist, das Herberge bedeutet, das schützt und das diesen Mönchen ähnelt".

Innerer Tumult

Mohammed Nadim glaubt intensiv an Gott und den Menschen. Dabei verbirgt er nicht "den Tumult, die total schwarze Nacht", in die ihn dieses Ereignis gestürzt hat. Er weigert sich anzuerkennen, dass er 'derselben Religion, derselben Denkrichtung, demselben Verständnis des Islam' wie die Mörder  angehört. "So viele Gedanken, die dieser Sommer umschlingt und die mein Geist gebiert. Die Gedanken wuchern, und ich stochere vergeblich, damit der Fluss der Worte geordneter und gefügiger wird ... Denn ich habe das Gefühl der Revolte, das ich nicht an mir schätze, aber das in mir wohnt. Zur gleichen Zeit bewegt mich diese Furcht, nicht das auszudrücken, was notwendig ist, nicht das Wort zu sagen, das gesagt werden muss." 
Aber Nadim akzeptiert, dass er durch diese inneren gegensätzlichen Bewegungen durcheinander gebracht worden ist.  Seine poetischen Meditationen werden nach und nach zu Fürbitten für den Vater Jacques Hamel und seine Familie, zur Bitte um "Vergebung im Namen der Menschen und im Namen [der] seiner Religion. Sein Handeln bleibt ein Lobpreis auch für all jene - wohlgemerkt auch in der Gemeinschaft der Kirche -  die fähig bleiben, in solchen Situationen einen so beeindruckenden und großzügigen  Dialog des Friedens weiter zu führen."
Denn von diesem alten Priester, der am Abend seines Lebens nach 60 Jahren Priesterseins niedergeschlagen wurde, weiß der Autor, dass dieser schon seinem Mörder vergab. Nadim wendet sich an ihn wie an einen Bruder: "Mein Vater, schenken Sie dieser Geschichte keine Aufmerksamkeit, verändern  Sie nicht Ihr Verhalten und lassen Sie [das Vergangene] durch schöne Träume überwachsen ... Er [der Mörder] glaubte Ihnen das Leben zu nehmen, ... aber sie haben es Ihren Brüdern, der Kirche und Gott hingegeben." 

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