Sonntag, 20. Januar 2019

Daisaku Ikeda / Ernst Ulrich von Weizsäcker ------- Ethische Verantwortung für die Zukunft der einen Welt

Ernst Ulrich von Weizsäcker / Daisaku Ikeda:
Was sind wir uns wert?
Gespräche über Energie und Nachhaltigkeit
Aus dem Englischen übersetzt von Judith Elze und Katrin Harlaß
Freiburg u.a.: Herder 2016, 184 S. ---- ISBN: 978-3-451-34964-5 ---

Ernst Ulrich von Weizsäcker (geb. 1939) hat sich sowohl als Naturwissenschaftler wie als Politiker einen Namen gemacht. Neben vielen Wissenschaftseinrichtungen, denen er vorstand bzw. noch vorsteht, ist er seit 2012 auch Co-Präsident des Club of Rome. Sein philosophischer Gesprächspartner in diesem Buch ist Daisaku Ikeda (geb. 1928), Präsident der buddhistischen Laienorganisation Soka Gakkai, die ihren Ursprung in Japan hat. Er erhielt für sein Engagement im Blick auf Menschenwürde und Menschenrechte 1983 den Friedenspreis der Vereinten Nationen. 


Weiteres zu Soka Gakkai: hier

Diese beiden weltweit engagierten Persönlichkeiten haben acht ausführliche Gespräche über die Weltverantwortung in ihren unterschiedlichen ökologischen, wirtschaftlichen und friedenspolitischen Dimensionen geführt. Diese in manchem visionär wirkende Gesprächsreihe erschien zuerst im japanischen Literaturmagazin Ushio zwischen Dezember 2011 und Mai 2014 und auch in der japanischen Ausgabe des Journal of Oriental Studies.

Um es vorweg zu sagen: Die Geschichte von Deutschland und Japan besonders im 20. Jahrhundert zeigt viele Berührungspunkte – allerdings nicht nur angenehmer Art, was Kriege und Katastrophen betrifft. Man denke nur an die faschistische „Achse“ Berlin Tokio während im 2. Weltkrieg, die Entwicklung und den Abwurf der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki sowie die Erdbeben und Reaktorunfälle in Japan bis in die jüngste Gegenwart. Solche Erfahrungen nötigen über regionale und nationale Sichtweisen hinauszukommen und die Welt als eine Welt für alle Menschen wahrzunehmen. Wie schon der Reformpädagoge und Gründer von Soka Gakkai Makiguchi Tsunesaburo (1871 - 1944) einforderte, gehören Erziehung und Bildung zu den Kernaufgaben für die Verbesserung der Weltzustände im Sinne einer umfassenden Friedenspädagogik (vgl. S. 21).
Das erfordert nicht nur international sorgfältige analytische Arbeit sondern auch eine ethische Verantwortung, wie sie ebenso Hans Küng in seinem „Projekt Weltethos“ zum Ausdruck gebracht hat.

Die beiden Autoren – gewissermaßen gleichzeitig Wissenschaftler, Philosophen und Zukunftsforscher – diskutierten dieses weite Themenfeld in mehreren „Anläufen“:
1. Im Gespräch Hoffnung und Gesundung geht um die Erkenntnis und Konsequenzen aus den Grenzen des Wachstums angesichts eines ethisch hemmungslosen Kapitalismus.
2. Der Abschnitt Eine Welt ohne Krieg bezieht sich erinnernd auf das Anti-Atomwaffen-Manifest Göttinger Kernwaffenforscher 1957. Das Gespräch bedenkt aber auch die Konsequenzen aus dem Fall der Berliner Mauer 1989, das Ende des Kalten Krieges und japanische Abrüstungsinitiativen.
3. Beim dritten Gesprächsthema Grünes Wachstum geht es um Energie und Klima, das Weizsäcker unter den Titel Faktor Vier: Doppelter Wohlstand - halbierter Naturverbrauch anspricht und als Faktor Fünf zukunftsorientiert analysiert: Nachhaltiges Wachstum und Ressourcenschonung, besonders auch durch Reformen von unten. Angesprochen wird dabei die Planung von DESERTEC, nämlich den Energiebedarf Europas über Solarstrom aus der Sahara abzudecken.
4. Entscheidend sind jedoch geänderte Verhaltensweisen: Genügsamkeit widerspricht keineswegs einem erfüllten Leben. Einfach ist nicht ärmlich! Allerdings ist es unumgänglich, ethische Verantwortung zu praktizieren, und zwar mit dem Verzicht auf ungebremsten Konsum und ausbeuterisches Wachstum um einer gesunden Umwelt willen.

5. In die langfristige Perspektive haben sich seit langem schon verantwortliche Gruppierungen eingeschaltet wie der Club of Rome, der 1972 schon die „Grenzen des Wachstums“ einforderte. Daraus entwickelte sich die Orientierung für ein „nachhaltiges Wachstum“. 
6. Das immer wieder durchklingende Thema ist ein notwendiges Umweltbewusstsein, das sich global entwickeln muss. Es fängt oft mit kleinen Schritten an vielen Orten an – gerade auch in den Schulen. Umwelterziehung ist darum das Gebot der Stunde im Sinne eines neuen Zeitalters der Aufklärung. Ökonomie und Ökologie müssen in eine umweltbewusste harmonische Balance gebracht werden.
7. Hier schließt sich fast nahtlos das nächste Gespräch an: Soziale und ökologische Gerechtigkeit, das im sog. TLC-Faktor gipfelt: Tender Loving Care = liebevolle Fürsorge (S. 116f). Das bedeutet Rückkehr zum menschlichen Maß und Beendigung des „Marktfundamentalismus“ (S. 122ff) hin zu toleranten und versöhnlichen Gesellschaften und Staaten. Nur so können alle die Grundrechte des Lebens wahrnehmen: Ausreichende Nahrung und sauberes Wasser, Arbeit und Wohnung. Bhutan mit seinem Indikator „Bruttonationalglück“ tritt hier besonders in den Fokus. Hier kommen die im 3. Gespräch schon erwähnten Faktoren Vier und Fünf ins Spiel.
8. Für unsere nachhaltige Zukunft bedeutet dies die Klimaveränderungen nicht nur ernst nehmen, sondern an sinnvollen Verbesserungen arbeiten. Dazu gehört als erstes eine Haltung der Genügsamkeit, die die Gier nach Ressourcen ausbremst, Energien sorgsam einsetzt und Ressourcen wiederverwertet, denn in dieser Welt ist für alle genug da, allerdings nicht für jedermanns Gier (Gandhi, vgl. S. 161).

Zur Bedeutung von Religion        
Noch stärker als Weizsäcker bezieht sich Ikeda immer wieder auf die religiöse Motivation seines Handelns. Das wird z.B. mit einem Buddha-Zitat deutlich, in dem Mitgefühl und Umweltbewusstsein zusammenklingen (S. 95). Der Gedanke des Philosophen Nichiren Daishonin (1222–1282) zu umfassender Gerechtigkeit gewinnt erstaunliche Aktualität: „Die lebenden Wesen und ihre Umgebung sind nicht zwei Dinge, und ein Mensch und das Land, das er bewohnt, sind nicht zwei Dinge“ (S. 117). 
Zum Schluss fasst der japanische Philosoph darum die Hoffnung auf eine glückvolle und friedliche Welt so zusammen: „Ich bin überzeugt, dass es zu den Kernaufgaben und -verantwortlichkeiten von Religion gehört, Perspektiven anzubieten, die uns in den Herausforderungen des Zeitenwandels eine verlässliche Richtschnur und feste Stütze sein können“ (S. 162). Diese Aufforderung, die Frieden stiftenden Kräfte der Religionen intensiver in politische Zusammenhänge einzubringen, müsste im Blick für die Zukunft noch viel deutlicher werden.
Reinhard Kirste
Vgl. das in mancher Hinsicht thematisch verwandte Buch:
·        Michael Gorbatschow / Daisaku Ikeda: Triumph der moralischen Revolution. 
Freiburg u.a.: Herder 2015, 266 S., Personenregister
Verlagsankündigung mit Leseprobe: hier


  Rz-Ikeda-Weizsäcker-Zukunft, 29.10.16   

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