Montag, 27. Juni 2016

Das Vaterunser - nicht nur für Christen

Hans Martin Barth:
Das Vaterunser - Inspiration zwischen Religionen und säkularer Welt.      
    
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus (Random House) 2016, 222 S.
 --- ISBN 978-3-579-08233-2 ---
In seinem Buch "Das Vaterunser" untersucht Hans-Martin Barth, emeritierter Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Marburg, das Vaterunser auf inter- und a-religiöse Aspekte. Er stellt als Christ die Frage, ob sich eine Möglichkeit des gemeinsamen Betens eröffnen könne. Dabei geht er bewusst in kleinen Schritten vor und untersucht jede Vaterunser-Bitte einzeln.
Am Beispiel des Abschnittes "Vater unser – und kein Vater im Himmel?" soll die Vorgehensweise des Autors veranschaulicht werden.  
Zunächst thematisiert Barth, dass auch nicht-christliche Strömungen sich der Eltern-Symbolik bedienen um ihre Gottheiten anzureden, so z.B. gelten Zeus in der griechischen Mythologie und Odin bei den Germanen als Vaterfigur, wodurch die Unterlegenheit der Menschen, die sich ihren Göttern gegenüber wie Kinder fühlen, ausgedrückt wird. In der biblischen Tradition ist, so Barth, die Vaterfigur nicht als Vater eines Einzelnen, sondern als Vater eines Volkes zu verstehen; so kümmert sich Gott z.B. nicht um den Einzelnen, sondern um das ganze Volk Israel.
Religionspsychologisch lässt sich die Vatersymbolik auf Furcht einzelner Menschen vor Naturkräften zurückführen, die diesen einen göttlichen Vatercharakter zusprechen, um Schutz zu erlangen. Alain de Botton, ein atheistischer Schriftsteller der Gegenwart setzt hier mit seiner Kritik an. Nicht besser sieht es mit der weiblichen Seite der Religion aus. Die Verehrung von Muttergottheiten hält er für eine infantile Form der Religion.
Allerdings ist die Vatersymbolik nicht in allen Religionen vertreten; so kennt der Buddhismus im Sinne des westlichen Theismus keine Götter, und im Islam wird Allah nicht als "Vater" angesprochen.
In den folgenden Abschnitten behandelt Barth eine atheistische Sicht, die einen Gott im Himmel verneint, sowie eine mystische Sicht, die des Transzendierens in der Meditation, und liefert viele Denkanstöße. Als Kernelement stellt sich die Frage heraus, ob das Vaterunser auch dann sinnvoll erscheint, wenn man der Vater-Symbolik kritisch gegenübersteht. Dennoch kommt er zu dem Schluss, dass diese Symbolik mit einem gewissen Maß an Vertrauen, Zuwendung und Geborgenheit einhergeht. Für diejenigen, die es ablehnen, agiert die Anrede einer transzendentalen Persönlichkeit per "Du" ebenfalls auf einer persönliche, vertrauensvollen Ebene.
Hans-Martin Barth zeigt unter Berücksichtigung sowohl verschiedener religiöser Strömungen, als auch atheistischer Sichtweisen, dass das Vaterunser eine viel stärker verbindende Kraft hat, als dass es unterschiedlich Glaubende und Denkende trennt. Das bedeutet, dass das Vaterunser seine Wirkung auch außerhalb des christlichen Denkens entfalten kann. Gerade die Tatsache, dass der Autor zu jeder Bitte unterschiedliche Aspekte hinzuzieht, führt zu einer  sehr differenzierten Auseinandersetzung; dennoch verfolgt er in der Form von Gegenüberstellungen einen roten Faden, der die Argumentation nachvollziehbar macht. Zwar lassen sich nicht auf alle Fragen, die Barth innerhalb seines Textes formuliert, Antworten finden, doch allein die Beschäftigung mit der Thematik in diesem Ausmaß ermöglicht einen persönlichen Standpunkt, der das Vaterunser nicht nur für den christlichen Glauben in Anspruch nehmen kann.
Nicolas Jung und Cornelius Otto
Im Rahmen des Seminars "Mystische Strömungen im Christentum und im Islam"
(TU-Dortmund, Sommersemester 2016)
Verlagsinformation:
Das Vaterunser – ein Vertrauens-Impuls für alle Menschen
Nicht das Glaubensbekenntnis ist allen Kirchen gemeinsam, sondern: das Vaterunser! Ist das Gebet, das alle Christen und Christinnen teilen, noch mehr? Eine Einladung für die Menschheit, für die Anhänger aller Religionen und sogar für die religiös »Unmusikalischen«, dem Leben zu vertrauen?
Hans-Martin Barth fragt nach den Kontexten, in die das Vaterunser im 21. Jahrhundert gestellt ist. Er fragt nach den Erfahrungen und Schwierigkeiten des Betens. Er zeigt Möglichkeiten, das Gebet Jesu mit großen Texten anderer Religionen und sogar mit dem Denken von Religionskritikern in ein Gespräch zu bringen. Deutlich wird: In einer Welt, die den »Vater im Himmel« nicht mehr kennt, ist das Vaterunser eine noch längst nicht ausgeschöpfte Quelle innerer Zuversicht.
·        Das Gebet Jesu - neu entdeckt im Kontext von Weltreligionen und säkularem Denken
·        Ein Ur-Text der Menschheit - tröstend und herausfordernd zugleich

·        Vgl. zum religionsdialogischen Ansatz von Hans-Martin Barth bereits:
Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen. Ein Lehrbuch.
Gütersloh: Kaiser / Gütersloher Verlagshaus 2001, 2008, 3. Aktualisierte und ergänzte Auflage
Rezension von Hermann Barth bei EKD (01.07.2008):
https://www.ekd.de/vortraege/barth/080701_barth_berlin.html
·        Publikationsliste von H.-M. Barth: https://luthertheologie.de/publikationen/

Rz-Barth-Vaterunser, 27.06.2016

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