Freitag, 22. Januar 2016

Die Heiligen Schriften – Wegweiser des Lebens



Ahmad Milad Karimi (Übers. + Hg.): Die Blumen des Koran
oder: Gottes Poesie. 
Ein Lesebuch.
Freiburg/Br.: Herder 2015, 224 S. --- ISBN: 978-3-451-31335-6 ---



 Jede Kultur und jedes Volk hat seine Heilige Schrift(en): „ Die Heiligen Schriften der Religionen sind dokumentierte und durch die Zeit tradierte Zeugnisse gelebten Glaubens. Mehr noch: Sie sind selbst Wort und Offenbarung Gottes. Damit unterscheiden sie sich von allen anderen religiösen Werken, die jede Tradition zu bieten hat.“(1) Die Heiligen Schriften sind Wegweiser des Lebens geworden. Je nach Lebenssituation sind besondere Stellen der Bibel wichtig geworden, Psalm 23, Psalm 90, Bergpredigt Mt 5, 1.Kor 13. Für Christen wird einem bald klar, dass eine Übersetzung des ursprünglich in reiner Prosa gefassten arabischen Textes des Korans schwierig ist. Anders als in der Bibel sind hier Wort und Sinn sehr miteinander verwoben. Diese Besonderheit bedeutet: „Diese Vielschichtigkeit des Korans ist der Grund dafür, dass alle Gebete, die auf dem Koran beruhen, vom Muslim nur auf Arabisch rezitiert werden dürfen, und der Gläubige empfindet den Segen des Wortes, auch wenn er oder sie das Wort selbst nicht versteht … es ergibt sich eine innige Verbindung des Menschen mit Gott, und man fühlt sich geehrt, dass man Gott mit Seinem eigenen Wort anreden darf“(2).

Die Koran-Rezitation lässt eine „Innigkeit“, eine ganz eigenartige Beteiligung spüren. Es ist tatsächlich ein ästhetisches Erleben möglich (3). „Gott offenbart sich dann nicht nur durch den Koran als etwas von ihm verschiedenes und ist auch nicht Buch geworden in einer Art ‚Inliberation‘. In der Rezitation gibt Gott etwas preis, das allein in dieser Weise offenbar wird: seine Schönheit. Durch den Akt der Rezitation wird die Gegenwart Gottes, seine Schönheit und Herrlichkeit sinnlich wahrnehmbar“(4). Annemarie Schimmel hebt die Wichtigkeit des Korans „als Schlüssel“ zum „Verständnis“ für das Besondere dieser Heiligen Schrift, dieses Buches, den Koran, hervor. „Nicht der Prophet steht im Mittelpunkt, sondern das Wort Gottes … im Islam (ist) das göttliche Wort BUCH geworden“(5).


In wissenschaftlichen Übersetzungen von Heiligen Schriften wird meistens der Schwerpunkt auf die historisch-kritische Entstehung von Texten gelegt und somit eine sog. emotional-ästhetische Dimension ausgeklammert. Dieser Aspekt ist aber immer untrennbarer Teilbestand Heiliger Schriften gewesen, ja ursprünglicher Impuls der zur Entstehung dieser Glaubenstexte führte. Zu Recht weist auch Karimi darauf hin, wenn er in einem Interview sagt: „Die vorliegenden wissenschaftlichen Übersetzungen sind wichtig, weil sie möglichst genau den Textinhalt zu übertragen versuchen. Was aus meiner Sicht aber fehlt, ist der Versuch, das Wie zu berücksichtigen, die Sprachform, wie der Koran etwas sagt. Denn hier liegt der Grund, warum der Koran zum lebendigen Herz des Islam geworden ist, und warum Muslime so gerührt und fasziniert vom Koran sind“(6). So greift Ahmad Milad Karimi schon im Prolog seines Werkes die Frage auf, wie der Koran dann zu lesen sei. „Halten wir ihn tatsächlich in den Händen? Obgleich er in unseren Händen liegt, ist er kein Gegenstand. Der Koran entgleitet uns im Akt der Rezitation; und gerade in der Rezitation scheint er ganz auf. Was im Koran steht, lässt sich nicht abstrahieren von der Weise, wie es im Koran steht. Inhalt und Form sind untrennbar, sie greifen ineinander“(7). Oder an anderer Stelle: „Die Blumen des Koran verlangen nach Begegnung. Begegnung ist immer ein unmittelbarer Akt, sinnlich, zitternd, wie eine erste Berührung. Das ästhetische Moment entsteht durch das alles umspannende Erlebnis des Poetischen … die Poesie Gottes umfasst alle Dinge, und sie ist progressiv deshalb, weil der Koran dem Werden und der Veränderung verschrieben ist. Der Koran, er endet nicht, und gerade im Fragmentarischen atmet die Seele auf“ (8).


In insgesamt neunzehn Teilen hilft Karimi uns, besonderen Abschnitten des Korans zu begegnen. Zuletzt steht die Begegnung mit Sure 55, „die Braut des Koran“. Hier wird Gott als der Barmherzige angesprochen, eine Begegnung die zugleich auch wieder ein Anfang ist. Gott ist der Barmherzige (9.)


Wie wichtig es ist, dem Gott, dem Barmherzigen, zu begegnen, ist immer wieder in den Heiligen Schriften des Judentums, wie auch in den Neutestamentlichen Schriften der Christen zu lesen und besonders in den Psalmen zu hören. Dass wir uns gemeinsam mit allen Menschen diesem BARMHERZIGEN öffnen, damit auch wir barmherzig sein können, geht besonders auch aus dem Aufruf von Papst Franziskus hervor, das Jahr 2016 zum Jahr der Barmherzigkeit zu leben, zu feiern. „Die Worte Jesu aus der Bergpredigt leiten uns auf diesem langen und anspruchsvollen Weg … Im Laufe des Jahres, lassen wir uns von seinem Spruch anregen: >Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen<. Barmherzigkeit ist der einzige Weg, das Böse zu überwinden. Gerechtigkeit ist notwendig, sehr sogar, aber Gerechtigkeit alleine reicht nicht“(10).


Das gelungene Werk, Gottes Poesie, ist besonders auch für Nicht-Muslime eine hilfreiche Einführung in die Essenz Heiliger Schriften und besonders in den Koran. Texte werden lebendig, wie aus dem Alltag gegriffen; vorher übersehen, werden unsere Augen und Sinne geöffnet zu ganzheitlicher Wahrnehmung und Dankbarkeit im Angesicht der Schönheit. Im Koran gibt es viele Hinweise auf Gott, auf den Schöpfer, und immer wieder wird der Versuch unternommen, ihn sich vorzustellen. Greifen gleichwohl alle menschlichen Kategorien nicht, „ihn“ „fassen“ zu können. Die 99 verschiedenen „Namen“ münden in „erster Linie“ darin, ihn als den „Allbarmherzigen“ zu erfahren.


Prof. Dr. Dr. Manfred Kwiran, Wülperode

Anmerkungen

Vgl. auch: Eric-Emmanuel Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran (2001).
Aus dem Französischen von Annette und Klaus Bäcker. Zürich: Amman 2003, viele Auflagen.
Details zur Erzählung und zum Film:
https://de.wikipedia.org/wiki/Monsieur_Ibrahim_und_die_Blumen_des_Koran

  1. Bernadette Schwarz-Boenneke, in: Heilige Schriften. H.3 (Hg. Claus Peter Sajak) Paderborn: Schöningh 2015, S. 4
  2. Annemarie Schimmel, Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen. Der Islam.
    Düsseldorf: Patmos Verlag 1998, 2. Aufl., S. 33f
  3. Navid Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran. München: C.H. Beck Verlag 2000.
  4. Cordula Heupts, Ästhetische Offenbarung? Essay zur Studienwoche Stuttgart 2013, www.akademie-rs.de
  5. Ebd., S. 37
  6. Volker Hasenauer, Koranübersetzer will Poesie und Schönheit des Textes aufzeigen
      - Domradio Köln, 17.08.2009, S.1:
    http://www.domradio.de.
  7. Ahmad Milad Karimi (Hg.), Die Blumen des Koran oder: Gottes Poesie. Ein Lesebuch.
    Herder, Freiburg im Breisgau 2015, S. 9
  8.  Ebd., S.13 
  9.  Ebd., S.215ff.
  10. Papst Franziskus: Was der Weltjugendtag 2016 mit der Barmherzigkeit zu tun hat: S. 1-7,
    hier S. 3 in: 
    http://de.catholicnewsagency.com. 
  11. Annemarie Schimmel, a.a.O.,S. 24ff

Rz-Karimi-Blumen-Koran, 22.01.16  



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