Samstag, 26. Dezember 2015

Spätmittelalterliche Auseinandersetzungen zwischen Christentum, Judentum und Islam am Mittelmeer



Petrus Martyr Anglerius: Legatio Babylonica. Edition, Übersetzung und Kommentar von Hans Heinrich Todt.
Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 8
Hg. Reinhold F. Glei.

Wiesbaden: Harrassowitz 2015, 450 S., Abb., Namenregister
--- ISBN 978-3-447-10347-3 --- (zugleich Diss. Ruhr-Universität Bochum,
chronologische Übersicht biografisch S. 48 

- zur Gesandtschaft, S. 74)
 
Biografischer Überblick
Petrus Martyr Anglerius wurde 1457 in Arona am Lago Maggiore geboren. Er stammte aus einer geachteten Familie aus dem in der Nähe liegenden Angera. Dem Leser tritt Petrus Martyr als hoch gebildeter Humanist entgegen. Das zeigt allein schon sein geschliffenes Latein. Sein Weg führte über Rom an den spanischen Hof. Dort gewann er sehr schnell die Gunst als Berater der „Katholischen Könige“ Ferdinand II. (1452–1516) und Isabella I. (1451–1504). Dafür ließ er sich auch zum Priester weihen und wurde der Beichtvater der Königin (1492). Besonders herauszuheben sind im Jahre 1501 seine diplomatischen Missionen, die in drei Büchern der Legatio Babylonica beschrieben werden. Er reiste durch Frankreich nach Venedig (Buch 1). Bei dieser Mission ging es um die Verbesserung der Beziehungen zum spanischen Hof. Seine Weiterreise entlang der dalmatinischen Küste über Kreta und das Etappenziel Alexandria erzählt Buch 2. Die Nilfahrt und seinen Aufenthalt in Kairo in der Nähe und am Hof des Sultans von Ägypten thematisiert dann Buch 3. Offensichtlich als Lohn für seine Diplomatie wurde er zum Leiter der Hofschule für die Heranwachsenden der königlichen Familie berufen (1502) und zum Prior von Granada (1503) ernannt. Schließlich gelang es ihm noch, Mitglied des Hohen Rats von Indien und dann noch Bischof von Jamaika zu werden. Dorthin kam er jedoch nicht mehr. Er starb 1526 in Granada.

Der Mittelmeerraum im späten Mittelalter

Was hier vom Autor nüchtern in Erinnerung gerufen wird, ist eine Geschichte in kriegerisch-multikulturellen Kontexten. Sie erreicht ihren ersten Höhepunkt im Zusammenhang der Eroberung von Granada 1492, des letzten islamischen Fürstentums auf spanischem Boden, Vertreibung der Juden, Niederschlagung der Moriskenaufstände, also der z.T. zwangsbekehrten Muslime.

Aber neben einem glühenden missionarischen Verfechter eines sich absolut gebärdenden Christentums tritt uns ein literarisch, historisch und geografisch höchst kompetenter Intellektueller entgegen. Davon zeugt u.a. die von ihm vorgelegte erste umfassende Beschreibung Amerikas („De Orbe Novo Decades“ (1511/1516) und seine zeitgeschichtliche Darstellung („Opus epistolarum, 1530). Martyrs Gesandtschaft nach Ägypten gibt zugleich neben interessanten Detailbeschreibungen Norditaliens und Venedigs einen aufschlussreichen Einblick in das Land am Nil.

Um historische Überschaubarkeit zu gewinnen, erläutert Todt zuerst die Hintergründe der katholischen Religions- und Eroberungspolitik im Horizont des 15./16. Jh.s. Dazu skizziert er die militärisch erfolgreiche Machtausweitung durch Isabella I. und Ferdinand II. im Kontext der neu eingerichteten Inquisition in Kastilien. Dem folgt der Krieg gegen die Muslime in Granada 1481–1492 und die daraus folgenden Aufstände der Morisken, zwischen 1499–1501. In diesem Kontext bettet Todt die Lebensgeschichte Martyrs ein. Die brutale Vertreibungspolitik von Ferdinand und Isabella hatte den Mamluken-Sultan Qansuh al-Ghuri auf den Plan gerufen, der den Katholischen Königen mit militärischem Eingreifen drohte. Dadurch wurde der königliche Auftrag für die Gesandtschaft Martyrs nach Ägypten besonders wichtig.

Todt betont neben Martyrs Werken besonders seine Persönlichkeit als Diplomat mit einiger Durchsetzungskraft. Wie organisiert dennoch alles ablief, zeigt die Bedeutung des Sultan-Dolmetschers Taghri Birdi (wahrscheinlich spanisch-jüdischer Herkunft), der offensichtlich auch anderen (Handels-)Reisenden aus Europa als Übersetzer diente. Martyrs beinahe gescheiterte Verhandlungsstrategie angesichts des Widerstands von Exil-Granadinern und Juden sowie maghrebinischer Gesandter kommt doch noch zu einem einigermaßen guten Ende. Martyr vermischt verdeckte Drohungen eines Angriffs der katholischen Könige zugunsten der Christen im Orient mit der Betonung gemeinsamer katholisch-sultanischer Gegnerschaft im Blick auf einige Emire als mögliche Putschisten gegen den Sultan. Der Diplomat aber wäre nicht zugleich Literat, wenn diese Verhandlungen nicht auch entsprechend sprachlich quasi als ausführliche parteipolitische Dokumentation für die Auftraggeber gemeistert würden.



Die Missachtung und Schmähung der Andersgläubigen

Im Blick auf die Verachtung Martyrs für Juden und Muslime einerseits und genauer Beobachtungsgabe gesellschaftlicher, geografischer und historischer Gegebenheiten andererseits entstand ein ausgesprochen spannender, informativer und durchaus auch unterhaltsamer Bericht in drei Büchern. Er spiegelt absolutistische Sichtweisen und eine heute unerträglich wirkende christliche Ablehnung gegenüber Andersgläubigen, aber auch gegenüber Anderslebenden. Allerdings ist er in seiner Rede vor dem Sultan eben Diplomat, wenn er diesem die Sicht der Katholischen Könige präsentiert: Die nach 1492 nach Nordafrika geflohenen Muslime würden allerdings die Großmütigkeit der spanischen Krone bewusst ins Negative ziehen. Deshalb sollte der Sultan ihnen nicht glauben. Noch schlimmer sieht es mit dem Verhalten der vertriebenen Juden aus (S. 215–217), die Martyr gar als „räudiges und ansteckendes Vieh“ bezeichnet (S. 287). Allerdings zeigt seine ebenfalls niedergeschriebene Vorbereitung der Rede – sozusagen eine Kurzfassung über die gesamte islamische Geschichte (S. 245–271) auch seine wahre Einstellung gegenüber den Muslimen. Er hält sie für moralisch verwerfliche und hassgierige Barbaren! Die sicher so nicht vorgetragene Rede mit Schmeicheleien für die Auftraggeber enthält durch seine Ausführlichkeit wichtige geografische, architektonische und historisch-genaue Beobachtungen.

Bilanz

 Bilanz: Polemische Auseinandersetzung und Möglichkeiten interreligiöser Begegnung
Die Legatio Babylonica muss als zeitgeschichtliches Dokument in der Auseinandersetzung von christlichen und muslimischen Herrschaftsansprüchen gesehen werden, und zwar angesichts der Tatsache, dass die Orte Jesu, seiner Jünger und seiner Familie weitgehend unter islamischer Herrschaft standen – ein unauslöschlicher Makel für jeden frommen Christen. Mehr noch: Die Dokumente zeigen die spanische Religionspolitik in direkter Verbindung mit der Inquisition, also eine brisante Mischung aus staatlicher und kirchlicher Gewalt gegen alles Andersartige. Hier werden alle Vorurteile und Ablehnungsstrategien gegen Juden und Muslime beunruhigend offengelegt, besonders extrem gegen die Juden. Dass sich antijüdische und antiislamische Polemik bis heute solcher Argumente bedient, macht eine Distanzierung von jeglicher diskriminierender religiöser Polemik dringend nötig. Der hochgebildete Humanist Petrus Martyr bietet hier neben wichtigen Einblicken in die Zeit um 1500 auch ein peinliches Beispiel eines sich absolut gebenden Christentums gegen alle Andersgläubigen. Er liefert damit den christlichen Antihaltungen gegen Juden und Muslime weiter Nahrung. Andere Intellektuelle, die bereits vor ihm lebten, wie Ramon Llull (um 1232–1316) und Nikolaus von Kues (1401–1464) haben trotz aller Absolutheitsansprüche und Missionierungstendenzen immerhin schon beachtliche Ansätze für den interreligiösen Dialog geleistet.

Die sorgsame und aufschlussreiche Forschungsarbeit von Todt nötigt im Grunde dazu, mit der gemeinsamen historischen Aufarbeitung der Gewaltgeschichte gegen Andersglaubende zu beginnen. Voraussetzung jedoch ist, dass historische Redlichkeit den Blick für die (spät-)mittelalterliche Problemgeschichte des Mittelmeers freimacht. Dem Autor ist zu danken, dass er die ambivalente Persönlichkeit des Petrus Martyr zugleich als eine Herausforderung begreift, Annäherungen im Dialog voranzubringen. Mit seiner Arbeit hat er dafür eine ausgesprochen klärende Wegmarkierung gesetzt. 

Vgl. bereits die Begegnung von Franziskus von Assisi mit dem Sultan Malik al-Kamil im Jahr 1219,
in: John Tolan: Le Saint chez le Sultan - La rencontre de François d'Assise et de l'islam.
Huit siècles d'interprétation.
Paris: Seuil 2007, 504 pp., Ill., index:
Reinhard Kirste
Rz-Petrus Martyr-Legatio, 23.12.2015








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