Freitag, 1. Januar 2016

Buch des Monats Januar 2016: Frauenspiritualität und Armutsideal im Geist des Franziskus



Michaela Sohn-Kronthaler / Willibald Hopfgartner OFM /
Paul Zahner OFM (Hg.):
Zwischen Gebet, Reform und sozialem Dienst.
Franziskanisch inspirierte Frauen in den Umbrüchen ihrer Zeit
Theologie im kulturellen Dialog, Band 29,
Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien 2015, 315 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-7022-3392 ---

Der vorliegende Band gibt die Vorträge eines Symposiums wieder, das die Franziskanerprovinz Austria und die Theologische Fakultät in Graz im Oktober 2013 ausrichtete. Diese Tagung nimmt Themen auf, die ähnlich den früheren den Zusammenhang mit der franziskanischen Spiritualität verdeutlichen: 2011 gingt es um Frieden, dokumentiert in „Pax et Bonum“ (2012). Rezension hier:
Das Symposium 2012 (veröffentlicht 2013) war ökologisch ausgerichtet:
Die Schöpfung lesen. Die Natur zwischen Mystik und Missbrauch:
Der Schwerpunkt liegt dieses Mal auf franziskanisch inspirierten Frauen in Vergangenheit und Gegenwart.

Die vorliegenden Beiträge heben gewissermaßen die intensive weibliche Seite der Wirkungsgeschichte des Franziskus von Assisi besonders hervor. Die Herausgeber/innen des Bandes sind anerkannte Experten auf diesem Gebiet: Die Grazer Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler, der Junioratsleiter des Franziskanerklosters Graz, Willibald Hopfgartner OFM und der Leiter des Fortbildungsbereichs des Grazer Franziskanerkonvents und Studierenden-Mentor Paul Zahner OFM. Hinzu kommen als AutorInnen kompetente Ordensfrauen und bekannte Historikerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen sowie ein Kunstgeschichtler und ein Kirchenhistoriker.
Wie vielfältig die franziskanische Frauentradition zwischen strenger Kontemplation, Krankendienst und Schulbildung war und ist, zeigen die verschiedenen Beiträge, die auf die neue Lebensform der Klara von Assisi, und dann auch der Elisabeth von Thüringen Bezug nehmen und bis in die Gegenwart hineinwirken. Das Vorwort macht bereits auf die spirituelle und zugleich aktive Variante franziskanischen Lebens aufmerksam. Die Kirchenhistorikerin Adriana Valerio (Universität Neapel) verdeutlicht dies im ersten Beitrag an zwei recht unterschiedlichen späteren Jüngerinnen des hl. Franziskus: Angela von Foligno (1248–1309) und Maria Lorenza Longo (ca. 1460–1539). Und doch sind beide vereint in der Haltung, mit Christus gleichförmig zu werden und in barmherziger Liebe zu wirken. Das gilt besonders gegenüber den Armen und Ausgestoßenen. Mit   Elisabeth von Thüringen (1207–1231) beschäftigt sich der Beitrag des Kunsthistorikers Harald Wolter-von dem Knesebeck (Universität Bonn): Bilder in Büchern – Bilder im Herzen. Er zeigt anhand der Illustrationen und der Sprache der monastisch orientierten Landgrafenpsalterien sowie des eher höfischen Elisabethpsalters, dass diese für Elisabeth als geistliche Hilfsmittel zunehmend an Bedeutung verloren. Ihre (asketische) Verinnerlichung und Nachfolgeorientierung am armen Christus spielt bereits für die im Geist des hl. Franz entwickelte Ordensregel der hl. Klara von Assisi eine wesentliche Rolle. Diese speist sich jedoch noch aus einigen anderen (mittelalterlichen) monastischen Lebensregeln. Darauf verweist der Mitherausgeber Paul Zahner. Um bei der Verinnerlichung zu bleiben: Sie findet ihren besonderen Ausdruck in der mystischen Sprache, die die Erfahrung der Liebe vielfältig variiert. Die Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl (Universität Graz) führt dies an Angela de Foligno (s.o.) und der Begine Mechthild von Magdeburg (um 1208–1282) vor: Eine Spannung von asketischer Strenge, Leidenserlebnis und visionärer Ekstase. Die intensive Jesusliebe verbindet sich mit poetisch starker Ausdruckskraft.
Die Theologin Susanne Ernst (Salzburg) steuert ein weiteres frauenmystisches Lebensbild bei, das der Katharina Vigri (1413–1463). Diese Klarisse, als hl. Katharina von Bologna bekannt geworden, lebte konsequent nach der „Form des Evangeliums“ (S. 89). Sie verstand das Ordensleben als Nachfolge Christi im Sinne einer inkarnatorischen Mystik, als ganz menschliches Hören, Sehen, Fühlen und Verkosten, umgesetzt in Musik, Tanz, Malerei, Schriftkunst, Grafik bis zum sinnlichen Verkosten der Hostie. Diese spirituelle Sinnlichkeit findet man auch bei der Klarissin Caritas Pirckheimer (1467–1532). Sie gerät in die kirchlichen und gesellschaftlichen Umbrüche der Reformation. Dies beschreibt die Kirchenhistorikern Barbara Henze (Universität Freiburg/Br.): Der protestantische Stadtrat in Nürnberg auf der einen Seite und die Klarissen mit Frage des Gehorsams gegenüber den Ordensgelübden auf der anderen Seite verschärften die Frage nach der Glaubensfreiheit. Die wahre christliche Freiheit besteht jedoch „im Geist“. In der Spannung der Auslegung der Rechtfertigungslehre fühlte sich Caritas Pirckheimer Melanchthon näher als Luther. Melanchthon vermittelte offensichtlich auch, dass der Klarissenkonvent in Nürnberg nicht aufgelöst, allerdings in seinen Funktionen beschränkt wurde. Nun hatte selbst der ehemalige Augustinermönch Luther durch seine eigene Heirat mit einer Nonne eine innere Verbindung von Ordensregel und Familie hergestellt (S. 134). So verstanden sich die humanistisch gebildeten Schwestern als durchaus mündige Auslegerinnen der Hl. Schrift und beriefen sich damit zugleich auf ihre Ordensgründerin, die hl. Klara.
Historisch und zugleich aktuell ist der Beitrag von Bonaventura Holzmann OSE, Generaloberin der Elisabethinnen in Graz. Sie stellt kurz den Beginn des Ordens mit Apollonia Rademecher in Aachen seit 1622 vor und die unmittelbar damit zusammenhängende Gründung in Graz (1693/94). Vorbild im Zusammenhang von Kontemplation sowie Solidarität und Engagement für die Armen und Kranken bleibt weiterhin Elisabeth von Thüringen. Sehr passend schließt sich hier unmittelbar der Beitrag der Mitherausgeberin Michaela Sohn-Kronthaler an. Sie bietet einen aufschlussreichen Einblick in das aufblühende Leben von Frauenkongregationen im deutschsprachigen Katholizismus des 19. Jahrhunderts. Die Namen der Frauen sind teilweise wenig bekannt. Die franziskanische Regel gilt sowohl für die klassischen Männer- und Frauenorden wie auch für die Dritten Orden (Terziarer) als Orientierung für die unterschiedlichen Handlungsfelder der jeweiligen Konvente. Das zeigt sich gerade in der verstärkten Gründung von Terziarinnen-Kommunitäten. Sie sind damit zugleich Teil des Aufschwungs religiöser weiblicher Genossenschaften (S. 165). Dass ausgerechnet die franziskanische Regel so großen Anklang fand, dürfte mit neuer religiöser Suche angesichts der großen Veränderungen in der Gesellschaft, besonders den teilweise katastrophalen sozialen Folgen der Industrialisierung im 19. Jh. zu tun haben. Beispielhaft führt dies Katharina Ganz, Generaloberin der Kongregation der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu OSF, vom Kloster Oberzell (Würzburg) vor: Der „katholische Jungfrauenverein“ der Antonia Werr (1813–1868) kümmerte sich zuerst um „verwahrloste Personen weiblichen Geschlechts“ (S. 191), keineswegs immer zur Freude der kirchlichen Hierarchie. Schwerpunkt ihrer Arbeit aber wurden die von der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßenen Frauen, denen Antonia Werrs besondere Zuwendung und die Wiederherstellung ihrer Menschenwürde galt. Denn gerade in ihnen offenbarte sich Gottes Verletzlichkeit wie in einem Kind. Daher rührt der Name dieses Terziarinnen-Ordens. Diese Haltung erinnert in vielem auch an die Gründung der protestantischen Diakonissenhäuser.
Auf den politisch anti-liberalen Schweizer Kapuzinerpater Theodosius Florentini (1808–1865) kommt der Kirchengeschichtler Markus Ries (Universität Luzern) im Zusammenhang mit dessen Gründung von zwei Frauenkongregationen kritisch sichtend zu sprechen. So versuchte Florentini durchaus als Sozialreformer im Gegensatz zum „rationalistischen“ Staat, Armenpflege zu betreiben und klösterliche Fabriken aufzubauen. Einige der in den Konventen wirkenden Frauen entwickelten jedoch eigenständige Wege, was zu bedrohlichen Krisen führte. Die inzwischen selbständig gewordene Kongregation in Ingenbohl wurde von Sr. Maria Theresia Scherer keineswegs ohne erhebliche Spannungen gegenüber dem sich patriarchalisch gebärdenden Gründer geführt. Dies alles zeigt, die Problematik eines Mannes „der seine Ideale zum Maßstab machte“ (S. 224) – offensichtlich auch gegen die Frauen!
Über die eigene Region hinaus führt der Mitherausgeber Paul Zahner OFM mit der Vorstellung und Hintergrundinterpretation eines Briefes, der sich auf die Missionsreise von Schweizer Kapuzinerinnen im Jahre 1888 sowie deren Erfahrungen in Lateinamerika bezieht. Besonders in Kolumbien, Brasilien, Ecuador, Peru und Panama entstand so eine intensive soziale Wirksamkeit bis heute. Mit dem Beitrag von Gisela Fleckenstein OFS (Stadtarchiv Köln) wird die Geschichte der franziskanischen Terziarer-Ordens-Regeln im 19. Jahrhundert, besonders unter Papst Leo XIII. bis hin zum „Ordo Franciscanus Saecularis“ (OFS) von 1978 verdeutlicht. Ende des 19. Jh.s faktisch zum Gebetsverein (S. 249) geworden, konnten sich die Mitglieder durch ihre fromme Tagesgestaltung und ihre wohltätigen Werke als gute Christen fühlen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Struktur der Terziarer-Orden (Franziskaner und Kapuziner) klarer und durch die Regel von 1978 verändernd konzipiert: „Geistliches Leben in der Welt in Eigenverantwortlichkeit“ (S. 259), und zwar im Sinne der spirituellen, liturgischen und missionarischen Konzilsreformen durch das 2. Vaticanum.
Mit der sozialrevolutionären Philosophin Simone Weil – jüdischer Herkunft – (1909–1943), die sich zur Mystikerin wandelte, beschäftigt sich Willibald Hopfgartner OFM (Graz). Da sie von Kindheit an durch großes Gerechtigkeitsbewusstsein geprägt war, sah sie sich besonders herausgefordert, ihr Leben mit den Schwachen und Ausgebeuteten zu teilen. In dieser Weise lebte sie achtsam die „compassio Christi“, vielleicht ohne den letzten Schritt zu tun, nämlich sich christlich taufen zu lassen. Vorbild und Ansporn wird ihr dabei der Hl. Franz in seiner Betonung der Nächstenliebe in direktem Zusammenhang von Armut und Machtlosigkeit. Zugleich verbindet sich bei ihr damit die Schönheit der Schöpfung Gottes.
Vgl. auch die Anmerkungen zu Simone Weil von Elisabeth Pernkopf in „Sehnsucht Mystik“ (2011, S. 226–229): http://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/01/sehnsucht-mystik.html
Den Abschluss des Bandes bilden kritische Überlegungen von Rebeka Anić SSFCR (Ivo Pilar Zentrum Split) über die „Männerkirche“. Sie stellt die dominante hierarchische Ekklesiologie in Frage. Sie bezieht sich Galater 3,28 und fordert aus dem franziskanischen Geist heraus eine Kirche, die die gleichwertige Bezogenheit von „apostolisch-petrinisch“ und „marianisch“ ernst nimmt. Sie unterlegt ihre Forderung mit ihrer eigenen Biografie und theologischen „Karriere“. Das 2. Vaticanum hat hier tatsächlich Umstrukturierungen gebracht. Aber praktische Veränderungen der Kirche können nur über eine Theologie, die in Beziehungen denkt, ermöglicht werden, und zwar durch eine „demutsvolle Ekklesiologie“, in der „der Antagonismus zwischen Frauen und Männern aufgehoben sein“ muss (S. 301).
Bilanz
Insgesamt ist dies ein spannendes Buch, und zwar deshalb, weil offensichtlich aus dem franziskanischen Geist heraus eine kontinuierliche Reform der Kirche immer wieder zur Sprache gebracht und praktisch eingefordert wird. Das erinnert durchaus an das Wort der „ecclesia semper reformanda“, eine Kirche, die sich immer verändern muss (so bei Augustinus, Karl Barth, Hans Küng, im Vaticanum II: Lumen Gentium). Franziskanerinnen und Franziskaner scheinen auf Grund ihrer Geschichte dabei besonders erfahrene und darum wichtige Kooperationspartner/innen „in den Umbrüchen der Zeit“ zu sein.
Reinhard Kirste
Rz-Sohn-Kronthaler-franziskanisch, 31.12.15 


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