Montag, 24. November 2014

Religionspädagogische Grundlagen für einen Islamischen Religionsunterricht in der Grundschule



Gül Solgun-Kaps (Hg.): Islam. Didaktik für die Grundschule.
Berlin: Cornelsen 2014, 208 S.  
--- ISBN 978-3-589-16395-3

 
Ausführliche Beschreibung
Das hier vorgestellte Buch soll angehenden und bereits praktizierenden Lehrer/innen einen Einblick in die wichtigsten Themengebiete des Islamunterrichts in der Grundschule geben. Es wirbt damit, praxisorientiert und verständlich zu sein.
Inhaltlich greift es unterschiedliche Punkte und Problemstellen des Islamischen Religionsunterrichts auf, indem verschiedene Autoren und Autorinnen mit Hilfe von Essays zu Wort kommen. Nach dem Vorwort wird im ersten Teil durch Martin Neumeyer, Michael Kiefer, Peter Graf und Andreas Renz die Problematik aufgegriffen, die sich in Deutschland mit den einzelnen Bundesländern stellt, wenn ein ordentlicher Islamischer Religionsunterricht nach Art.7 III GG eingeführt werden soll. Hierbei stellt sich unter anderem die Frage, wie der Islam und seine verschiedenen Dachverbände mit den Grundgesetzen und der Demokratie vereinbar sind. Auch wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung des Islamischen Religionsunterrichts in Deutschland gegeben und auf die Chancen des religiösen und interreligiösen Lernens verwiesen (aaO S. 9-61). So „stehen diese Unterrichte für eine konstruktive Brücke zwischen den unterschiedlichen religiösen oder ethischen Orientierungen. Sie haben die Schüler zu befähigen, im Spannungsbogen zu den fremden Anderen das eigene Selbst zu verwirklichen“ (S. 36).


 Im zweiten Teil „Schule als Raum gelebter Integration“ (S. 62) zeigen die Autoren/Autorinnen Rabeya Müller, Stephan Leimgruber und Gül Solgun-Kaps auf, wie Islamischer Religionsunterricht zu einem Ort gelebter Integration werden kann. Das Interreligiöse soll in der eigenen Religion entdeckt werden, ohne dass dabei der Bezug zum Islam verloren geht. Die Schüler(innen) sollen im Unterricht eine religiöse Identität aufbauen können und mit anderen Kindern im Dialog stehen. Weiter wird darauf eingegangen, was man überhaupt unter „interkulturellem  und interreligiösem Lernen“ versteht und welche didaktischen Möglichkeiten sich beim interreligiösen Lernen anbieten. Außerdem wird der Unterschied zwischen einer Inter- und multireligiösen Feier in der Schule deutlich gemacht und jeweils ein praktisches Beispiel für die Anwendung im Unterricht gegeben (S. 36). Stephan Leimgruber schreibt unter anderem dazu: „Mir scheint in dieser Frage religiöser Identität wichtig zu sein, dass wir das Elementare einer Religion betonen, Ähnliches unterstreichen und Differenzen achten lernen. Wichtiger als die Form des Gebetes ist es beispielsweise, dass Muslime und Christen an den einen und selben Gott glauben und dass für beide Abraham ein Vorbild des Glaubens ist.“ (S. 70).

Der dritte Teil vertieft den Praxisbezug und gibt nützliche Tipps, Anregungen und Beispiele für den Islamischen Unterricht. Hierbei greifen Miyesser Ildem, Amin Rochdi, Gül Solgun-Kaps, Hamideh Mohagheghi, Harry Harun Behr und Yunus Haque die wohl wichtigsten und schwierigsten Themengebiete im Islamischen Unterricht auf:

  • der Koran, 
  •  der Prophet Muhammad,
  • die Propheten im Koran,
  • Gottesvorstellungen bei muslimischen Kindern.

Zuerst wird auf die Thematik mit ihrem Hintergrund und die möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten im Unterricht verwiesen. Anschließend erfolgen Beispiele für die Praxis und hilfreiche Übertragungen auf die Lebenssituation der Schüler/innen (S. 93–163). So sagt Yunus Haque in Bezug auf die Gottesvorstellung bei muslimischen Kindern: „Gott ist für Kinder religiös sehr bedeutungsvoll, gleich welche Gedanken und Gefühle sie mit der Vorstellung von ihm verbinden“ (S. 159).

Der vierte Teil „Lehrerpersönlichkeit und ethische Bildung im islamischen Kontext“ (S. 164) zeigt unter anderem einen Überblick über die Anforderungen und Erwartungen an den muslimischen Religionslehrer bzw. die muslimische Religionslehrerin auf und macht deutlich, wie wichtig dabei die ethische Ebene ist, um eine Lehrerpersönlichkeit aufzubauen. Hierbei stützt sich die Autorin Fahimah Ulfat auf das Lehr-Lern-Modell „Visible Learning“ (S. 164) von John Hattie (S. 164–185). Yasemin Harter erklärt in diesem Kontext, dass es im Religionsunterricht nicht mehr einfach um eine reine Wissensvermittlung geht, sondern die Kinder sollen ihre Kompetenzen erweitern können und es gilt ihnen genug Raum für theologische Fragen lassen. In diesem Essay werden die zu erwerbenden Kompetenzen im islamischen Religionsunterricht vertieft dargestellt (S. 185–194). So lautet Yasemin Harters Fazit nach Rainer Lersch: „Wer nichts weiß, ist nicht kompetent, aber wer mit seinem Wissen nichts anfangen kann, auch nicht“ (S. 193).

Der fünfte Teil „Ein Nachwort: Islam und Frieden“ (S. 195) von Gül Solgun-Kaps beschäftigt sich zum Abschluss des Buches mit den Vorurteilen, die sich unter anderem seit den Anschläge im September 2011 gegenüber dem Islam aufgebaut haben und gibt einen kurzen Einblick in das wirkliche Bestreben der Muslime (vgl. S. 195–197), wie folgender Ausspruch deutlich macht: „O Gott, Du bist der Friede. Von dir kommt der Friede. So grüße uns, unser Herr, mit dem Frieden“ [ein Hadith nach Abu l-Husayn Muslim] (S. 195).

Bilanz
Positiv ist an dem Buch zu vermerken, dass schon einmal das Cover ansprechend gestaltet und das Inhaltsverzeichnis übersichtlich und informativ ist. Es enthält in einem Überblick die zurzeit aktuellsten und wichtigsten Themengebiete rund um den Islam und den Islamischen Religionsunterricht, so dass der Leser bzw. die Leserin einen guten Einstieg in die Thematik erfährt. Vor allem das zweite und dritte Kapitel mit den praxisorientierten Beispielen und Anregungen für den Islamischen Religionsunterricht können sehr hilfreich bei der Planung einer Unterrichtsstunde sein, die nicht nur islamkundlich, sondern bekenntnisorientiert ausgerichtet ist. So wird nicht nur bloßes Wissen vermittelt. Die Lehrer erhalten dadurch die Chance, einen modernen Islamischen Religionsunterricht zu gestalten, in dem die Kinder eine religiöse Identität aufbauen und ihre eigenen Erfahrungen mit in den Unterricht einbringen können. Auch erhält der Lehrer/die Lehrerin ratsame Tipps, wie die Integration im Klassenzimmer stattfinden und ein interreligiöser Dialog zwischen den Kindern anderer Religionen möglich gemacht werden kann, ohne dabei den Bezug zum Islam zu verlieren. Des Weiteren ist es spannend zu erfahren, was für eine wichtige Rolle der Lehrperson im Unterricht und im Umgang mit Kindern zukommt. Man erhält einen Einblick, welche Anforderungen an einen modernen muslimischen Religionslehrer/eine muslimische Religionslehrerin gestellt werden. Sehr praktisch ist, dass an und innerhalb der einzelnen Essays jeweils die wichtigsten Informationen kurz und gebündelt stehen, so dass man sich das Geschriebene besser merken kann und einem ein schnellerer Einstieg in das Thema gelingt, auch wenn man das Buch ein paar Tage zur Seite gelegt hat. Schön sind dabei die eingebauten Suren, die die Meinung des Autors/der Autorin untermalen.
Verbesserungswürdig an dem Buch ist, dass viele Themen nur im Groben angerissen und nicht weiter vertieft werden. Im ersten Kapitel wäre eine genauere Übersicht über die unterschiedlichen Schulprojekte des Islamischen Religionsunterrichts in allen Bundesländern sinnvoll. Dadurch würde noch deutlicher, wie weit Deutschland mit der Einrichtung eines ordentlichen Islamischen Religionsunterrichts nach Art. 7 III GG gekommen ist und welche Probleme hier genau vorliegen. Dazu wäre eine kurze Übersicht über die wichtigsten islamischen Dachverbände sinnvoll. Außerdem ist das fünfte und letzte Kapitel zu kurz angerissen, stellt es doch gerade in der heutigen Zeit ein zentrales Thema in Bezug auf den Islam dar. Das Buch könnte mit einer intensiveren Beschreibung der wirklichen Absichten des Islams (Frieden) noch mehr Barrieren gegenüber dieser Religion abbauen. Hier liegt nämlich als eines der Hauptprobleme, warum der ordentliche Islamische Religionsunterricht oft auch kritisch und mit Argwohn von außen betrachtet wird.
Insgesamt ist das Buch sehr empfehlenswert und bestimmt nicht nur an werdende und bereits schon praktizierende Lehrer und Lehrerinnen gerichtet. Auch für Eltern und an dem Thema Interessierte ist es bestens geeignet, um sich einen Überblick über die aktuelle Situation des Islamischen Religionsunterrichts in Deutschland zu verschaffen. Wichtig hierbei ist aber, dass das Buch erst einmal nur einen Überblick und Anregungen geben möchte und nicht zur intensiven Vertiefung von Thematiken dient. Es will wohl in erster Linie informieren und Tipps zur Unterrichtsgestaltung geben und auf praxisbezogene Probleme hinweisen, was die Darstellung zugleich authentisch und erfahrungsnah erscheinen lässt. Da es aus vielen einzelnen Essays von unterschiedlichen Autoren und Autorinnen besteht, findet der Leser/die Leserin mehrere Meinungen und Positionen wieder, die ein umfassendes Bild über den Islam und die Didaktik an Grundschulen geben. So kann man sich das für sich Nützliche aus den Texten herausfiltern und die eigenen Sichtweisen anhand des Buches überprüfen und erneuern. Einige Methoden für den Unterricht sind aber wohl auch auf andere Schulformen anwendbar.

Aufgrund des umfassenden Überblicks über den Islam und die Lehrerrolle ist das Buch letztlich nicht nur für Grundschullehrer/innen sinnvoll, sondern auch Lehrern und Lehrerinnen anderer Schultypen zu empfehlen.

Ann-Christin Bultmann
TU Dortmund, WiSe 2014/15, 24.11.2014



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